Aus Anlass des 60. Jahrestags der Ungarischen Revolution zeigt das Fotomuseum WestLicht eine Ausstellung mit eindringlichen Dokumenten der dramatischen Ereignisse, die im Herbst 1956 die Weltöffentlichkeit in Atem hielten. Was am 23. Oktober als Großdemonstration von Studierenden für demokratische Reformen begonnen hatte, wuchs sich rasch zu einem bewaffneten Kampf gegen die Einparteiendiktatur der kommunistischen Regierung und die sowjetische Besatzung aus, der von breiten Bevölkerungsschichten unterstützt wurde. Für wenige Tage schien der Sieg der Reformkräfte greifbar. Mit dem Einmarsch weiterer Truppenverbände der Roten Armee am 4. November wurden die Aufstände jedoch brutal niedergeschlagen und mit dem Kabinett um János Kádár eine pro-sowjetische Regierung installiert. Mehrere tausend Tote waren auf ungarischer Seite zu beklagen, knapp 700 Soldaten der sowjetischen Armee ließen ihr Leben.Als Kristallisationspunkt in der Ost-West-Konfrontation rückte der Aufstand Budapest über Tage in den Fokus der westlichen Medien. Zahlreiche Fotografen und Korrespondenten versorgten die Öffentlichkeit mit Nachrichten aus der ungarischen Hauptstadt, bevor die heraufziehende Sueskrise die Revolution aus den Schlagzeilen verdrängte. Die Ausstellung vereint Vintage Prints internationaler FotografInnen, die im Herbst 1956 für Magazine wie Life und Paris Match aus Budapest berichteten, darunter etwa Magnum-Mitglied David Hurn, Mario De Biasi, oder Stern-Reporter Rolf Gillhausen, die ihren jeweils eigenen Blick auf das Geschehen warfen. Ein Schwerpunkt der Ausstellung ist den Arbeiten des österreichischen Magnum-Fotografen Erich Lessing gewidmet, der wichtige Leihgaben aus seinem Archiv zur Verfügung stellt. Wie kein zweiter hat Lessing mit seinen Fotografien das Bild der ungarischen Revolution geprägt.
Der Aufstand und sein blutiges Ende resultierten nicht zuletzt in einem bis dahin ungekannten Flüchtlingszug Richtung Österreich. Mehr als 180.000 Menschen passierten in den Wochen nach dem 4. November die ungarisch- österreichische Grenze und wurden wenigstens anfänglich von einer Welle der Solidarität empfangen. Freilich verblieb nur ein geringer Teil der Flüchtlinge im Land, die Mehrzahl zog weiter in andere Staaten Europas und in Übersee, die sich zur Aufnahme bereiterklärt hatten. Die massenhafte Flucht und die spontane Hilfsbereitschaft der Bevölkerung haben sich tief in das kollektive österreichische Gedächtnis eingeschrieben und gehören zu den identitätsstiftenden Erzählungen am Beginn der Zweiten Republik. In Zusammenhang mit den insbesondere durch den Syrienkonflikt hervorgerufenen Fluchtbewegungen der vergangenen Monate wurde in der österreichischen Öffentlichkeit vielfach auf die Ereignisse von 1956 Bezug genommen. Den Bildern der Flucht von damals stellt die Ausstellung deshalb aktuelle Arbeiten zeitgenössischer Fotografen an die Seite, die 2015 die Flüchtenden auf ihrem Weg durch Ungarn und Österreich begleitet haben.
Mit Fotografien von Dominique Berretty, Hannes Betzler, István Bielik, Mario De Biasi, René Burri, Miklós Déri, Anders Engman, Rolf Gillhausen, Ernst Haas, Kristóf Hölvényi, David Hurn, János Kummer, Lisa Larsen, Erich Lessing, Russ Melcher, Jean-Pierre Pedrazzini, Florian Rainer, Massimo Vitali und Lutz Weitz. Dr. Erwin A. Schmidl, Hofrat, Univ.-Doz., ist Historiker und leitet das Institut für Strategie und Sicherheitspolitik der Landesverteidigungsakademie in Wien und den dort angesiedelten Fachbereich der Zeitgeschichte. Er ist Präsident der Militärhistorischen Kommission in Österreich und hat in der Vergangenheit verschiedentlich zum Thema Ungarn 1956 publiziert, darunter Die Ungarnkrise 1956 und Österreich, 2003, und zusammen mit László Ritter The Hungarian Revolution 1956, 2006.