Die MAK-Sammlung japanischer Farbholzschnitte zählt mit rund 4 200 Blättern zu den bedeutenden Ukiyo-e-Sammlungen in Europa. Ukiyo-e (Bilder der fließenden Welt), denen die Shunga zuzuordnen sind, illustrieren urbane Vergnügungen sowie bürgerliche Alltagsphänomene rund um die Theater- und Vergnügungsviertel von Edo, dem heutigen Tokio. Die explizite Darstellung von Sexualität in den Shunga versperrte den erotischen Drucken lange Zeit den Eingang in europäische Sammlungen. Auch die MAK-Sammlung beherbergt nur eine Bildrolle eines anonymen Meisters aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhundert – das älteste in der MAK-Ausstellung gezeigte Objekt.
Der formale Umgang mit nackten Körpern und die zum Teil vielschichtigen Anordnungen von Kimonofaltungen heben Shunga deutlich von naturalistischen Darstellungen des Liebesspiels ab. Charakteristisch sind die anatomische Detailgenauigkeit, manchmal extreme Körperstellungen und übergroß dargestellte Genitalien. Oft zeigen Shunga auch humorvolle Szenen, wie beispielsweise ein kleines Mädchen, das durchs Schlüsselloch ein Liebespaar beobachtet und ruft: „Ich sag’s der Mama“.
Ein Labyrinth aus Panelen leitet die BesucherInnen durch die chronologisch gegliederte Ausstellung im MAK DESIGN LABOR. Den Auftakt zum Parcours bilden frühe Shunga-Serien aus dem 17. Jahrhundert, die dem Zyklus der zwölf Monate folgen und – mit einem Titelblatt – dreizehn zusammengehörige Drucke ergeben. Suzuki Harunobu (ca. 1725–1770), einer der wichtigsten Entwerfer von Shunga, entwickelte die anfangs in schwarz-weiß umgesetzten Holzschnitte zu Vielfarbendrucken weiter und sprach zum Beispiel mit seinen Parabeln zwischen chinesischer Dichtkunst und japanischer Erotik unter anderem die reiche und gebildete BürgerInnenschicht Edos an.
Fast alle bekannten Ukiyo-e-Künstler entwarfen auch erotische Farbholzschnitte, wodurch sich die künstlerische Qualität von Shunga erklärt. Kitagawa Utamaro (1753–1806) wandelte die ursprünglich verträumten erotischen Szenen Harunobus zu eindeutigeren Darstellungen. Er verleiht dem Genre mehr Selbstverständlichkeit und zeigt auch halberotische häusliche Szenen wie die Schönheit (Bijin) bei der Körperpflege. Die heute am Kunstmarkt kaum noch erhältlichen Alben Utamaros zählen zu den begehrtesten Werken der japanischen Kunst. Seine Serie Negai no itoguchi [Erwachen der Begierde] (1799) ist im MAK vollständig zu sehen.
Erotische Phantasien und die Welt der Mythologie und der Geister verknüpft der – nicht nur durch seine Serie 36 Ansichten des Berges Fuji weltberühmte – Katsushika Hokusai (1760–1849). Während der Meiji-Ära (1868–1912) variiert die Qualität der Shunga. Im Zentrum steht nicht länger die Schönheit (Bijin), vielmehr geht es um erotische Motive wie die junge Studentin oder die selbstbewusste Frau. Durch die neuen technischen Möglichkeiten der Fotografie verlor der Farbholzschnitt als Massenmedium ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts an Bedeutung. Der Künstler Hashiguchi Goyō (1880–1921) ließ die Tradition der Ukiyo-e als einer der ersten in „neuen Drucken“ (Shin hanga) wieder aufleben und schuf ein modernes, selbstbewusstes Frauenbild, das an die Blätter Utamaros erinnert.
Die MAK-Ausstellung schließt mit ausgewählten Fotografien des japanischen Künstlers Nobuyoshi Araki (geb. 1940), der in mehreren Aktfotografie-Serien auf Shunga aus der Edo-Periode Bezug nimmt.
Der Großteil der in SHUNGA. Erotische Kunst aus Japan gezeigten Werke stammt aus der herausragenden Ukiyo-e Sammlung Rudolf Leopolds (1925–2010), die sich heute im Eigentum seines Sohnes Diethard Leopold befindet, der die Sammlung stetig erweitert. Die tabulose Darstellung des Geschlechts in den Farbholzschnitten beeindruckte in Europa und wurde erst durch Egon Schiele in ähnlich direkter Form methodisch in ganzen Serien von Blättern umgesetzt. Die Holzschnitte sind ein konstitutiver Bestandteil der Sammlung Rudolf Leopolds, der um den Schiele-Kern eine Gesamtschau von Wien um 1900 zusammentrug. Ein Teil der umfassenden Shunga-Sammlung war in der von Diethard Leopold kuratierten Japan-Ausstellung Fragilität des Daseins im Leopold Museum im Jahr 2012/2013 zu sehen.
Während Shunga zur Zeit ihrer Entstehung wahrscheinlich als Pornografie galten, steht heute die kunstgeschichtliche Bedeutung im Fokus. Im Ausstellungsbetrieb kamen erotische Farbholzschnitte bisher kaum vor, da die Grenzen zwischen erotischer Kunst und Pornografie oft verschwimmen. Das British Museum war mit seiner großangelegten Ausstellung Shunga: sex and pleasure in Japanese art im Jahr 2013 ein Vorreiter der Präsentation in Europa. In Japan selbst folgte 2015 die erste große Shunga-Ausstellung im Museum Eisei Bunko in Tokio.
Zur Ausstellung erscheint ein gleichnamiger Katalog, herausgegeben vom MAK, mit Textbeiträgen von Susanne Klien, Diethard Leopold und Sepp Linhart, ca.200 Seiten, 80 Abbildungen. Erhältlich im MAK Design Shop.
Diese Ausstellung enthält explizit erotische Darstellungen, die das moralische Empfinden von Personen unter 16 Jahren verletzen könnten.
MAK
ÖffnungszeitenDi 10:00–22:00 Uhr, Mi–So 10:00–18:00 UhrJeden Dienstag 18:00–22:00 Uhr Eintritt frei
Eintritt€ 7,90 / ermäßigt € 5,50 Eintritt frei für Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre
Jeden Dienstag 18:00–22:00 Uhr Eintritt frei
Familienkarte € 11 (2 Erwachsene + mind. 1 Kind bis zum 14. Lebensjahr)
AUSSTELLUNGSDAUER 7. – 25.9.2016 MAK FORUM, MAK DESIGN LABOR
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