Völkertafel, um 1725, Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien (Ausschnitt)  © Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien / Birgit & Peter Kainz, faksimile digital Völkertafel, um 1725, Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien (Ausschnitt) © Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien / Birgit & Peter Kainz, faksimile digital - Mit freundlicher Genehmigung von: TirolerLandesmuseen

Was: Ausstellung

Wann: 22.04.2016 - 06.11.2016

Ob durch Handwerk, Handel oder Reise: Der Kontakt mit anderen Ländern beeinflusst und verändert Menschen und ihre Kultur. Dass Tirol im Laufe der Zeit durch unterschiedlichste Einflüsse aus anderen Ländern bereichert wurde, zeigt die Ausstellung „Alles fremd – alles Tirol“. Sie deckt Stereotype auf und setzt sich mit den Vorstellungen vom vermeintlich Eigenen und scheinbar…
Ob durch Handwerk, Handel oder Reise: Der Kontakt mit anderen Ländern beeinflusst und verändert Menschen und ihre Kultur. Dass Tirol im Laufe der Zeit durch unterschiedlichste Einflüsse aus anderen Ländern bereichert wurde, zeigt die Ausstellung „Alles fremd – alles Tirol“. Sie deckt Stereotype auf und setzt sich mit den Vorstellungen vom vermeintlich Eigenen und scheinbar Fremden auseinander.

INNSBRUCK. Zu allen Zeiten wurden Wissen, Techniken und Dinge verbreitet, nachempfunden oder zu etwas Neuem kombiniert, indem man sich etwas aus anderen Ländern abschaute oder übernahm. In „Alles fremd – alles Tirol“ werden einige typisch tirolerisch anmutende Traditionen als Ergebnis eines Austauschprozesses mit anderen Kulturen entlarvt. „Die Ausstellung im Volkskunstmuseum ist keine Reaktion auf die aktuelle Flüchtlingsproblematik. Die Tiroler Landesmuseen beschäftigen sich schon länger mit Kulturkontakten“, erklärt PD Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmuseen. Er fährt fort: „Die Ausstellung spürt der Frage nach, auf welche Weise die Kultur in Tirol von fremden Einflüssen geprägt ist.“

KulturkontakteTirol bildet als Transitland auch heute noch eine kulturelle Brücke zwischen verschiedenen Nationen. Zwischen den wirtschaftlichen Zentren Süddeutschlands, Norditaliens sowie dem Bodensee‐ und Donauraum gelegen, wurde und wird Tirol durch den Kontakt zu anderen Sprachen und Kulturen geprägt. Die Einflüsse aus den Nachbarländern sind im Tiroler Alltag nicht zu übersehen. Rohstoffe und Produkte, die uns heute als typisch tirolerisch erscheinen, wurden ursprünglich oft aus anderen Ländern eingeführt. Bei vielen Dingen weiß man heute gar nicht mehr, dass sie nicht aus Tirol stammen. Teilweise auch, weil Produkte mit ihrer Einfuhr nicht einfach übernommen, sondern an die örtlichen Bedürfnisse angepasst – in die eigene Kultur übersetzt werden. Ehemals exotische Nahrungs‐ und Genussmittel aus anderen Ländern verändern und bereichern nicht nur lokale Gerichte, auch neue Geräte und Gegenstände für Anbau, Verarbeitung und Zubereitung werden entwickelt. Der Kaffee hat seinen Weg von Ostafrika über die Türkei zu uns gefunden. Die österreichische Kaffeehauskultur hat das Produkt neu interpretiert und neue Zubereitungsformen entwickelt. Ein anderes Beispiel für vormals fremde kulinarische Genüsse ist die Einführung der Pizza in Tirol. Die erste Pizzeria in Innsbruck eröffneten Herbert Cammerlander und sein Bruder Richard im Jahr 1965. Nachdem italienische Touristen sie auf diese süditalienische Spezialität hingewiesen hatten, machten sie sich selbst auf die Reise, probierten die Spezialität und führten sie, nachdem sie sie für gut befunden hatten, auf der Speisekarte ihres Restaurants in Tirol ein. Um möglichst nahe am Original zu bleiben, importierten sie mit ihrer Idee auch gleich einen italienischen Pizzabäcker und ein Pizzaofen wurde eigens für ihre Experimente gebaut.

Tiroler Landesmuseen‐Betriebsgesellschaft m.b.H. Museumstraße 15, 6020 Innsbruck www.tiroler‐landesmuseen.at Mag. Sigrid Wilhelm s.wilhelm@tiroler‐landesmuseen.at T +43 512 594 89‐110, F: ‐109 21. April 2016 1

Die Anpassung machte aber auch vor der Pizza nicht halt – so gibt es heute neben den klassischen italienischen Sorten eben auch die Pizza Tirolese.

Tiroler TrachtBesonders an Textilien lässt sich ablesen, wie der Kulturtransfer Handwerk beeinflussen kann. Der Blaudruck, der auf vielen Trachtenstoffen zum Einsatz kommt, stammt ursprünglich aus dem fernen Indien. Färbetechnik, Farbstoff sowie Muster des indischen Blaudrucks gelangten Mitte des 16. Jahrhunderts nach Holland und England und auch nach Tirol. Aber auch andere Bestandteile der Tiroler Tracht wurden durch die Aneignung von fremden Praktiken entwickelt. Die Klöppelspitze stammt ursprünglich aus Italien, das Muster des zur Tracht getragenen „türkischen Tuches“ ahmt jenes der teuren Schals aus Kaschmir nach. Der Blick auf einzelne Kleidungsstücke zeigt zahlreiche Kulturimporte und Verbindungen auf. Tracht war und ist kein starres Gebilde, sondern ein Produkt aus Nachahmungs‐ und Veränderungsprozessen. Wie sehr sich Trachten aus verschiedenen Regionen zum Teil ähneln, wird in einer Sammlung von Trachtenbildern aus ganz Europa, gezeichnet von Karl von Lutterotti, klar. Die Bilder weisen mitunter eine frappierende Ähnlichkeit auf und es ist nicht immer einfach, die Trachten auseinander zu halten.

Bekannte FremdeBestimmte Vorstellungen von Ländern und ihren Bewohnern hat man, auch wenn man niemals dort war und niemanden aus dem Land persönlich kennt. Diese Vorstellungen können Ausdruck von Faszination und Sehnsüchten sein, aber auch von Ängsten und Befürchtungen. Meist lassen sich die Einstellungen nur schwer verändern und sind langfristig als Bilder in den Köpfen verankert. Ganz starr sind die Bilder aber nicht: Wie sich die Einstellung zu etwas vermeintlich Fremden ändern kann, zeigt sich am Beispiel der in Tirol gefertigten Darstellungen von Türken und Osmanen. Aus den einstigen Feinden wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts eine ästhetische Traumfigur. Der „edle Wilde“ wurde für die häusliche Nutzung gezähmt und fand sich als Brunnentürke, Tabakschild oder Uhrenständer im Alltag wieder. Man holte sich eine Prise Exotik ins Wohnzimmer, ohne wirklich mit der fremden Kultur in Kontakt zu treten.

StereotypeKulturkontakte lassen Stereotype entstehen. In Abgrenzung zum Eigenen werden Vorstellungen vom Fremden festgeschrieben. Stereotype liefern eindeutige Strukturen und Einordnungssysteme. Sie reduzieren unterschiedliche Einflüsse auf überschaubare Größen und sind solchermaßen Orientierungshilfen und Vereinfachungen. Fixierte Vorstellungen können positiv wirken, das Gegenüber aber auch abwerten und erniedrigen. Dadurch sind Stereotype eine Grundlage von Nationalismus, Ausbeutung und Rassismus. Eine besondere Darstellung ethnischer Stereotype ist die sogenannte Völkertafel, die ein zentrales Objekt der Ausstellung ist. Die Tafel aus dem 18. Jahrhundert entstammt der Sammlung des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien. Auf ihr sind die „in Europa befindlichen Völker“ aufgereiht und mit vermeintlichen Charaktereigenschaften versehen. Die Abgrenzung zum Anderen erfolgt auf der Völkertafel nicht nur über den Charakter, sondern auch durch Körper und Gesichter der Abgebildeten. Die Eigenschaften der westlichen Nationen sind durchwegs positiv, während beispielsweis der Moskauer als rauh und grob beschrieben wird.

Die Sammlung des Tiroler VolkskunstmuseumZahlreiche Objekte in der Sammlung des Tiroler Volkskunstmuseum wurden nicht in Tirol erzeugt oder verwendet. Die Anschaffung von Stücken ohne großen Tirol‐Bezug geht auf die Zeit zurück, als das Museum noch als Gewerbemuseum geführt wurde. Damals legte man Wert auf die Qualität der Erzeugnisse und ihre Vorbildfunktion. Nach der Eröffnung des Museums 1929 wollte man das größte Heimatmuseum der „deutschen Alpenländer“ sein – Fremdes fand solchermaßen kaum einen Platz. Karl C. Berger und Anna Horner, die beiden KuratorInnen der Ausstellung, betonen: „Es ist erstaunlich, von welch vielfältigen Einflüssen die Objekte aus unserer Sammlung berichten können. Wir versuchen, anhand ausgewählter Beispiele die Vielschichtigkeit der Tiroler Kultur zu zeigen. Es geht uns um neue Blicke auf bekannte Objekte, um die Wahrnehmung des Fremden und die Bedeutung dieser Austauschprozesse. Unser Ziel ist es, diese oft vernachlässigten Aspekte der Kulturgeschichte Tirols sichtbar zu machen.“

Die AusstellungDie Sonderausstellung erstreckt sich über zwei Räume im zweiten Obergeschoß des Museums. Das gestalterische Konzept wurde vom Architektenpaar Celia Di Pauli und Eric Sidoroff umgesetzt. Der erste Raum erinnert an einen Pop‐up Store. Schubladen und Rahmen greifen das ordnende und rasternde Prinzip des stereotypen Denkens auf. Die Gestaltung des zweiten Ausstellungsraumes nimmt sich ein Vorbild an der Studiensammlung des Museums, in der die Kernsammlung über Zunft und Handwerk strukturiert in Holzvitrinen aus den 1960er Jahren ausgestellt ist. Die Pultvitrinen in der Schau haben gegenläufige Schubladen eingebaut. Zieht man eine Schublade heraus, schiebt sie sich auf der anderen Seite hinein. Das Spiel soll Wechselwirkungen und Kommunikationsprozesse, die Kultur ausmachen, veranschaulichen. Indem die Schau auf bestehende Objekte und Kulturtransfers hinweist und Zusammenhänge sichtbar macht, bietet sie neue Deutungsmöglichkeiten. Die Ausstellung soll ein Ort des Fragens, des Diskurses und der Diskussion sein – nicht ein Ort vorgefertigter und vorgegebener Antworten.

Migration als Teil der Kulturgeschichte TirolsDie Ausstellung „Alles fremd – alles Tirol“ ist Ausgangspunkt einer intensiven Beschäftigung mit der Migrationsgeschichte Tirols. Die Initiative hat zum Ziel, Migration als wichtigen Teil der Kulturgeschichte zu präsentieren und erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für MigrantInnen Tirol (ZeMiT), der Universität Innsbruck, dem Tiroler Bildungsforum, dem Land Tirol und der Stadt Innsbruck. Das Begleitprogramm zur Ausstellung bietet u. a. zweisprachige Führungen, Workshops und Erzählcafés. Ein Höhepunkt ist das Fest der Vielfalt am 21. Mai, das in Zusammenarbeit mit der Stadt Innsbruck organisiert wird. Zentrale Bedeutung kommt einem Sammelaufruf zu, der gemeinsam mit dem ZeMiT Ende März gestartet wurde. Die Bevölkerung ist dazu auffordert, Objekte, die in Zusammenhang mit dem Thema Zuwanderung stehen, zur Verfügung zu stellen. Gesammelt werden Fotos, Briefe, Musikkassetten, Spielzeug, Handarbeiten, Dokumente, Werkzeuge, Kleidungsstücke etc. Besonders alltägliche Objekte und deren Geschichten sind für die Sammlung interessant. Man kann die Gegenstände als Schenkung oder als Leihgabe im ZeMiT übergeben.

BEGLEITPUBLIKATIONZur Ausstellung erscheint die Begleitpublikation „Alles fremd – alles Tirol“; mit Beiträgen von Karl C. Berger, Hubert Bergmann, Franz Gratl, Edith Hessenberger, Gerhard Hetfleisch, Helene Hoffmann, Christina Hollomey‐Gasser, Anna Horner, Peter Huemer, Anita Konrad, Konrad Köstlin, Gabriele Marcon, Helmuth Oehler, Annemarie Regensburger, Dirk Rupnow, Walter Sauer, Wilfried Schatz und Ingo Sauer. ISBN 978‐3‐900083‐66‐3, 176 Seiten, Preis € 24,90

Schild eines Tabakladens, Klausen, um 1820  © Gerhard Watzek Schild eines Tabakladens, Klausen, um 1820 © Gerhard Watzek - Mit freundlicher Genehmigung von: TirolerLandesmuseen / Tiroler Landesmuseen Krippenfiguren einer Papierkrippe, 1. Drittel 19. Jh., Georg (1772-1838) und Felix Haller (1808-1883) Götzens/Terfens  © Gerhard Watzek Krippenfiguren einer Papierkrippe, 1. Drittel 19. Jh., Georg (1772-1838) und Felix Haller (1808-1883) Götzens/Terfens © Gerhard Watzek - Mit freundlicher Genehmigung von: TirolerLandesmuseen / Tiroler Landesmuseen Völkertafel, um 1725, Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien  © Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien / Birgit & Peter Kainz, faksimile digital Völkertafel, um 1725, Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien © Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien / Birgit & Peter Kainz, faksimile digital - Mit freundlicher Genehmigung von: TirolerLandesmuseen / Tiroler Landesmuseen
Tags: Handel, Handwerk, kultur, Reisen

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