Memory Gaps ::: Erinnerungslücken von Konstanze Sailer gedenkt NS-Opfern mit Ausstellungen in Wiener Straßen, die es geben sollte.Martha Geiringer (* 28. August 1912 in Wien; † vermutlich am 18. Januar 1943 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau) war Biologin, weitschichtige Verwandte von Gustav Mahler und arbeitete in der Biologischen Versuchsanstalt, im damals international renommierten Vivarium im Wiener Prater. Sämtliche jüdische MitarbeiterInnen wurden im Frühjahr 1938 entlassen, Geiringer flüchtete nach Belgien. Nach einer Auslandsreise kehrte sie im Januar 1941 in das seit Mai 1940 von NS-Deutschland militärisch besetzte Belgien zurück, wurde denunziert, mehrfach verhaftet und in der Kaserne Dossin, dem SS-Sammellager in Mechelen/Malines bei Brüssel festgesetzt. Von dort wurde Martha Geiringer in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft am 18. Januar 1943 ermordet.
Bis zum heutigen Tag existiert in Wien keine Straße, die ihren Namen trägt. Hingegen ist nach Julius Schlosser seit 1941 eine Straße in Wien-Floridsdorf benannt. Auch im Arkadenhof der Universität Wien steht eine Büste des Kunsthistorikers Schlosser, der durch großdeutsche Gesinnung und Befürwortung des Anschlusses bereits seit den 1920er Jahren hervortrat. Die Büste Schlossers stammt von dem Bildhauer, NSDAP-Mitglied und Günstling Adolf Hitlers, Josef Thorak. Schlossers NSDAP-Mitgliedschaft konnte nicht verifiziert werden, es existieren jedoch Fotos aus 1938, auf welchen er das NSDAP-Parteiabzeichen trägt. Anstelle von Julius Schlosser sollte künftig in Wien-Floridsdorf an Martha Geiringer erinnert werden.
Die Kunst-Initiative der Malerin Konstanze Sailer wird zum Gedenken an die verfolgten „Emigranten“ mit einer weiteren Ausstellung von Tuschen auf Papier in virtuellen Räumen eröffnet. Die Galerien befinden sich ausnahmslos in Straßen oder an Plätzen, die es nicht gibt, die es jedoch geben sollte: Solche mit Namen von Opfern der NS-Diktatur. Monat für Monat wird so das kollektive Gedächtnis erweitert. Monat für Monat werden damit Erinnerungslücken geschlossen. Memory Gaps ::: Erinnerungslücken zeigen eine Auswahl aus tausenden Tuschen auf Papier aus zehn Jahren. Sie stellen Schreie und Aufschreie von Opfern dar. Zum schmerzerfüllten Aufschrei geöffnete Münder und Kiefer. Abstrakte Darstellungen von Schreien in Ghettos, Konzentrationslagern und NS-Tötungsanstalten – gemalte Erinnerungskultur. Seit drei Jahrzehnten arbeitet die aus Heidelberg stammende und in Wien lebende Künstlerin zu den Themen Antlitz, Schädel und Tod. Tusche auf Papier wurde als Technik gewählt, um der "Filigranität" jener „Papierfetzen“ nachzuempfinden, auf denen in Konzentrationslagern inhaftierte Künstler – zumeist im Geheimen – ihre Kunstwerke herstellten.