Im Rahmen des zwischen dem Kunsthistorischen Museum und der Flämischen Regierung vereinbarten Projektes, jeweils für ein Jahr eine Leihgabe aus einer flämischen Sammlung in der neu gestalteten Kunstkammer zu präsentieren, kann heuer als dritte Jahresleihgabe ein kostbares Objekt aus dem Museum voor Schone Kunsten in Gent vorgestellt werden: das „Diptychon mit Margarete von Österreich in Anbetung der Madonna mit Kind“.Erzherzogin Margarete von Österreich (1480–1530), Tochter von Kaiser Maximilian I. und Maria von Burgund, übernahm 1507 als junge Witwe für ihren Vater die Regentschaft in den Niederlanden. Sie verwahrte in ihrer Residenz in Mecheln, die sie zu einem Zentrum für Künstler und Gelehrte werden ließ, in eigenen Räumen ihre Bibliothek sowie ihre Sammlung von Kunstwerken und Naturgegenständen ‒ dies stellt den Beginn der Entwicklung der Kunstkammern nördlich der Alpen dar. Margarete ist zugleich die Erste in der Reihe jener bedeutenden Sammlerpersönlichkeiten aus dem Hause Habsburg, deren Leidenschaft für Kunst den Bestand der Kunstkammer Wien bis heute prägt.
Das „Diptychon mit Margarete von Österreich in Anbetung der Madonna mit Kind“ zeigt auf dem rechten Flügel Margarete bei ihrer Privatandacht; sie kniet in einem Schlafgemach vor dem Betpult und wendet sich dabei an die Muttergottes, die auf dem linken Flügel dargestellt ist. Die Erzherzogin trägt ein höfisches Gewand aus Goldbrokat mit Samtbesatz und eine schwarze Haube, die aber ebenso wie das kostbare Kleid nicht als Zeichen ihrer Witwenschaft gedeutet werden kann, sondern ganz der Mode der Zeit entspricht. Daraus lässt sich schließen, dass das Gemälde vor dem Tod ihres dritten Ehemannes Herzog Philibert II. von Savoyen 1504 gemalt wurde, da Margarete als Witwe stets Trauerkleidung trug. Das Wappen auf dem Kaminsims ganz rechts weist auf Margaretes 1501 geschlossene Ehe mit Philibert hin: Es vereint das Wappen von Savoyen mit dem kombinierten Wappen Österreich, Burgund und Flandern.
Somit muss das Diptychon zwischen 1501 und 1504 entstanden sein, zu einer Zeit also, da Margarete noch nicht Statthalterin in den Niederlanden war. Gleichwohl dürfte das Gemälde Teil ihrer Sammlung in Mecheln gewesen sein. Als privates Andachtsporträt ist es unmittelbarer Ausdruck der Marienfrömmigkeit der Erzherzogin und steht zudem in einer Reihe religiöser Selbstdarstellungen, die im Haus Burgund auf eine lange Tradition zurückzuführen sind.
Auch die erste Leihgabe im Rahmen unserer Reihe „Flandern zu Gast“, das Gemälde „Isabella von Portugal mit der heiligen Elisabeth“ von Petrus Christus aus dem Groeningemuseum in Brügge, 2013/14 in der Kunstkammer Wien ausgestellt, gehört in diesen Bereich: Es zeigt die Urgroßmutter Margaretes von Österreich bei der Andacht.
Der Künstler, der sogenannte „Meister von 1499“, war ein heute namentlich nicht mehr bekannter Maler der altniederländischen Schule, der um 1500 vermutlich im Raum Brügge ‒ Gent tätig war; der Notname resultiert aus der Jahreszahl 1499 auf einem seiner Werke. Seine kleinformatigen Flügelaltäre und Bilder für die private Andacht entstanden im Rahmen der Devotio moderna, einer vor allem im Spätmittelalter in den Niederlanden populären neuen Form der Religiosität, die auf eine ganz persönliche und verinnerlichte Frömmigkeit abzielte.