Anlässlich der Verleihung des Oskar-Schlemmer-Preises 2016 zeigt die Kunsthalle eine Ausstellung mit acht fotografischen Zyklen des 1967 in Stuttgart geborenen Künstlers. Elger Esser war Student und Meister-Schüler von Bernd Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie. Seine Position entwickelte sich in den neunziger Jahren im Umfeld der Becher-Klasse und damit im Wirkungsraum der vitalen Auseinandersetzung mit der dokumentierenden und klassifizierenden Praxis von Bernd und Hilla Becher. Doch Elger Essers Bilder widersetzen sich der Abbild- funktion des fotografischen Mediums, und sie konterkarieren das digitale Bilder- universum, das einige der Becher-Schüler in ihren Werken kommentieren. Elger Esser interpretiert Fotografie als freie schöpferische Kunst. Seine sorgfältig kompo- nierten Bilder stehen im Spannungsfeld von spezifischen Traditionen der Malerei und des fotografischen Piktorialismus. Vor der Kontrastfolie der heutigen Medien- praxis machen sie Aussagen über das Entstehen von Bildern, über Zeit, Gedächtnis und Erinnerung.Elger Essers Aufnahmen von Landschaften, leerstehenden, teilweise dem Verfall oder Vergessen preisgegebenen historischen Bauten, die er vor allem in Frankreich ausfindig macht, inszenieren den Blick nicht nur durch Komposition, die Wahl des Ausschnitts und des Standpunkts. Sie erzeugen Atmosphären des Erinnerns vor allem auch über ein breites Repertoire fotografischer Strategien. Zu ihnen gehören Langzeitbelichtungen, Unschärfe, farbliche Verfremdungen und Retuschen, der experimentelle Einsatz ungewöhnlicher Materialien als Bildträger (zum Beispiel versilberter Metallplatten) und alter Druckverfahren (wie jenes der Heliogravüre). Esser spürt den Ablagerungen im kollektiven Bildgedächtnis nach, wenn er berühmte kunsthistorische Topographien wie die Küstenregionen der Bretagne oder Claude Monets Garten in Giverny zum Gegenstand seiner Aufnahmen macht. Auch Motive der Medien- und Kommunikationskultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nimmt er in seine Arbeit auf, indem er etwa Details alter franzö- sischer Postkarten stark vergrößert zum Bild macht, so dass sich deren Raster in eine an den Pointillismus erinnernde Auflösung verwandelt. Nie geht es dem Künstler um das Momenthafte einer Situation, sondern immer um dauerhafte und bedeutungsvolle Bildkonstruktionen.
Elger Essers Kunst ist ein Produkt des späten 20. und des beginnenden 21. Jahr- hunderts, aber seine Bilder sprechen nur indirekt von der Epoche ihrer Entstehung. Sie handeln in einem grundlegenden Sinn von Fotografie und Zeitlichkeit. Jedes seiner Werke, die auch als Elemente einer Serie immer für sich stehen, trägt latent den Konflikt zwischen unterschiedlichen Zeitordnungen in sich aus: zwischen dem Zeitmodus der beschleunigten Gegenwart, die gerade in den Medien der Bild- erzeugung immer schneller von Problem zu Lösung fortschreitet, und einer erinnernden Entschleunigung, die der Zeitmodus des kulturellen Gedächtnisses ist.
Elger Esser wuchs in Rom auf. 1986 kehrte er nach Deutschland zurück und schrieb sich 1991 an der Düsseldorfer Kunstakademie ein. 1996 wurde er Meister- Schüler bei Bernd Becher. 2008 hatte er eine Gastprofessur an der Folkwang Schule in Essen inne; von 2006-2009 war er Professor für Fotografie an der Hoch- schule für Gestaltung in Karlsruhe. Seit Mitte der neunziger Jahre stellt Elger Esser regelmäßig in Einzel- und Gruppenausstellungen international aus und ist mit seinen Werken in zahlreichen bedeutenden Museen und Kunstsammlungen ver- treten, wie etwa im Solomon R. Guggenheim Museum und im Metropolitan Museum, New York, im Stedelijk Museum, Amsterdam, im Kunsthaus Zürich, im Musée d’art moderne Centre Georges Pompidou, Paris, und in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München.
Die Ausstellung zeigt rund 75 Exponate aus Elger Essers Serien Ansichten, 2004-6, Wrecks, 2006, Ägypten, 2011, Landschaften, 1999-2015, Giverny, 2010, Ninfa, 2013, Combray, 2007-12, und Undinen, 2012. Zur Ausstellung erscheint ein Katalogbuch mit Texten von Bernd Stiegler und Kirsten Voigt im Verlag Schirmer-Mosel, München.