Stets geht es um Menschen im Alltag, um ihr Verhalten, ihr Handeln, Warten oder Zusammenwirken, das durch die Motivauswahl als ungewöhnlicher erscheint, als man es im Alltag meist wahrnimmt. Die Distanz zum Alltagsleben einer anderen Lebenskultur (im Urlaub) prägt zunächst viel leichter den fotografischen Blick für ungewöhnliches Verhalten oder ungewöhnliche Situationen, die auch etwas typisches in sich bergen. Zu nennen wäre hier die in Frankreich gefundene Familie mit afrikanischem Migrationshintergrund an einer Bushaltestelle. Daraus verstärkt sich ein wohl schon vorher beim Künstler vorhandener Blick für das ungewöhnliche, besser für flüchtige, aber prägnante und witzige Konstellationen, die aber nicht als skurril oder absurd betont werden, sondern doppeldeutig, von seltsam ungewollter Magie (Der Heiler), manieristischem Reiz (Sprünge, wie sie seit Goltzius´ Graphiken Taumelnde und Höllenstürzler vollführen, heute Turmspringer) oder schmunzelsamem Wohlwollen für freiheitliche Lebensfreude erscheinen. Diese Bezogenheit auf das unpathetische Dasein und bedrohte Lebensglück hat aber durchaus auch wache Bezugnahmen auf politische Situationen und ästhetische Debatten. Hein zieht sich nicht ins neckisch Private zurück, sondern kommentiert gegen die Werbekampagnenmotivik sowie den touristischen, journalistischen und propagandistischen Massenbildblick eine übersehene alltagsprägende Realität. Er hält dem geduldig Stand und schafft Gegenrealitäten allein schon durch die ausschnitthafte Collagierung. In dieser Ausstellung ist es Wasser und Meer und durch die Mittelmeerflüchtlinge auch die Migration.
Die kinderreich aufgefädelte Familie entspricht auch in ihrer Kleidung einem Klischee, zeigt die Anpassung an westliche Kultur, bleibt bunt, lässig und wie urlaubshaft. Alle verharren auf eigene Weise und gehen in unterschiedlichen Gebärden mit dem Warten auf den kommenden Bus um, das zum Zeichen für eine ungewisse Zukunft wird. Sie stehen vor verschatteten französischen Buchsbaumstutzungen, die genauso aufgereiht, auch etwas von Zelten oder Kralhütten haben. Sie sind „Auf dem Nachhauseweg“. Zu einem Zuhause, das sie oder wir vorurteilsbeleckt als nicht ihr eigentliches ansehen? Mit leichter politischer Unkorrektheit und Eingriff in die Privatsphäre wird hier situativer Alltag mit üblich Pubertierenden zu einer fremdartigen, künstlich inszeniert wirkenden Darstellung, die die Menschen zur symbolhaften Staffage eines Bühnenbildes zu machen scheint. Wie im Medienalltag weiß man nicht mehr genau, wie realistisch das Bild eigentlich ist, zumal die Malerei in Schatten und Volumen nicht mit dem Bildgrund korrespondiert und eigentümlich trocken flächig hervortritt. Es ist eben keine bloße Kopie, sondern konzipierte Komposition, gesteigerte Wirklichkeit, Wahnehmungsschulung – ein BILD. Die Kombination mit dem Untergrund, auf den nur inselhaft Ölmalereipartien aufgetragen werden, gibt den Bildthemen eine zusätzliche Aufmerksamkeit. Nicht so sehr Mimik, wie Gestik und Silhouette prägt die Vermutung einer Gefühlslage. Die Bildfelder werden dabei in die Farbigkeit und Struktur der durchaus auch geflickten Textilien eingebracht. Sie nehmen Bezug auf Liniaturen, Dekor oder Farbe, lassen zeichenhaft Wasser, Pool, Strand oder Himmel suggerieren, aber sie bleiben als fremd erkennbar, behalten ihr quertreibendes Eigenleben, bieten keine passende Raumillusion, sondern nur Raumassoziation, latente Stimmigkeit mit heitererem Irritationsbeigeschmack. Durchlaufende Muster werden (notgedrungen) als Boden und Himmel zugleich gedeutet und in ihrem Anschauungscharakter als deutungsbedingtes Element erkennbar. Die Springer etwa vor Doppellinien, die Wasser, Hochspannungsdrähte oder Notenheftlinien sein könnten, die die Verdrehten zu schriftartigen Zeichen machen. Das macht den einen Teil der eigenwilligen Präsenz aus, den anderen liefern die Personen. Christian Hein malt figürlich, aber er denkt plastisch und in Materialkonstellationen, wie bei seinen kleinen plastischen Arbeiten, die wie weitere Bilder in seinem Atelier zu besichtigen sind oder der homepage www.xianhein.de entnommen werden können. Seine in bunte zeitgenössische Kleidung gewandeten Figuren sprechen durch ihre Haltung, ihre Gesten und Gebärden, die fokussiert werden durch ihre aus dem ursprünglichen Zusammenhang herausgelöste Ermalung als Figureninseln.
Der Heiler berührt zwischen Massage, Intimität und Handauflegen einen am Strand liegenden, der erschlaffter Kunde, Ertrunkender, im Schlaf Begrapschter, rituell Beschworener oder selbstgefällig bedienter Tourist sein könnte. Das Muster der Rückseite eines "typischen" französischen gewachsten Tischtuchs changiert zwischen Kachelung, Wolkenbank und Horizontlinie. Es ist eigentlich nichts davon, sondern Teil eines Gemachten, eines Kunstwerks von leichtfüßiger Befremdlichkeit. Nicht beängstigend, nicht surreal, nicht fantastisch, nicht lächerlich, nicht mehr alltäglich. Konzeptuell selektiert und prononciert. Zugleich ein Selbstporträt des Künstlers als spürender Weltenbegegner - von ähnlicher Distanz wie der unter Wasser tauchende, untypisch schnappschussverdichtet für Porträts, aber durchaus etwas von der Person offenbarend und wieder fremdartig im Gebaren, obwohl als Freizeitgesellschaftsverhalten wie aus Filmen bekannt und nachvollziehbar. Ein Zustand, der durch das technisch möglich gewordene Einfrieren von Bewegungsmomenten fremdartig wird – und durch die Nachmalerei wieder als solches sichtbar. Die Springer nehmen Schutz- Dreh-, Taumel-, Hock- und sonstige Haltungen ein, die etwas von Erfahrung mit und Bammel vor dem Eintauchen in Wasser beinhalten, als Haltung aber nur im Flug eingenommen werden können oder Sinn machen, also keine der heute üblichen Posen sein können. Sie könnten aber Vokabular sein, Schriftzeichen oder Piktogramm.
Auf gestapelte und mit verschiedenen Stoffen bespannte Keilrahmen hat der Künstler zwei Darstellungen gemalt, die aus den Streifen jeweils Himmel oder Wasser werden lassen. Ein überfülltes Flüchtlingsboot, das am Strand über Schlauchboote entleert werden soll und eine aus Kisten gestapelte Rettungssschwimmer-Überwachungsstation mit abgezäuntem Revier verweist auf Realität, die es als Tagesaktualität sonst meist nicht in den Kunstkontext schafft. Die Baywatch sichert die Strandregion als Tourismusservice. Flüchtlinge werden hier nicht erwartet. Das Flüchtlingsboot wird von der Presse als „Symbolbild“ verwendet, wenn bei solchen Vorkommnissen mal wieder kein Situationsbild vorhanden ist. Hein nennt die Arbeit „Randerscheinungen“. Sie finden seewärts und landwärts des Meeressaumes und Strandrandes statt. Gerne werden diese Geschehnisse als Randerscheinungen eingestuft und zugleich sind sie auf dem Rand der Keilrahmen dargestellt.
In dieser auch für andere Bildtitel genutzten sprachlichen Doppeldeutigkeit zeigt sich ein humorvoller und anspielungsreicher Umgang mit Bildthemen und Titeln, mit geschürten Erwartungen und dem Blick fürs Detail, auf das man mit Christian Hein einen neuen und durchaus ambivalenten Blick wirft. Die Welt ist voller seltsamer Bilder. Christian Hein bannt sie uns auf Stoff, der aus seiner Gewöhnlichkeit ebenso wieder herauswächst, wie die gewählten Bildstoffe, um im Duktus der Doppeldeutigkeit zu bleiben. In Sinne der immer mitschwingenden Widersprüchlichkeit sind Figur und Grund bzw. Malerei und Untergrund beide „anziehende Stoffe“. In diesem Sinne sieht man auch mehr als Meer.
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