Zu Lebzeiten war Ramadan Abu Suelem der bekannteste self-taught artist Ägyptens. Aus der Sammlung Schernig zeigen wir weit über 40 auch größere Zeichnungen, die zum Teil höchst selten, zum Teil noch nie gezeigt wurden.1924 geboren in Oberägypten, arbeitete er auf dem von seinem Vater übernommenen Besitz als Obstbauer. Seine jährliche Ernte verkaufte er an Großhändler. Er trainierte Araberpferde für den traditionellen Pferdetanz und interessierte sich sehr für die mündlichen Überlieferungen seines Stammes, was für seine Bilderzählungen eine entscheidende Rolle spielt. Als er älter wurde, wählten die Männer des Stammes der Suelem ihn zu einem ihrer Anführer. Abu Suelem war verheiratet. Aus der Ehe gingen fünf Söhne und zwei Töchter hervor. Am 5. Oktober 1998 starb er.
Die Kompositionen sind oft von großer Symmetrie und folgen beinahe immer einem geometrischen Grundmuster. Die Vergegenwärtigung der alten Erzählungen impliziert den Willen, deren Ethos in der Lebenszeit des Künstlers wiederaufleben zu lassen, schrieb Marie-Thérèse Abdel-Messih von der Universität Kairo im Oktober 1998. Als Künstler verstand der Beduinenscheich seine Gegenwart in Begriffen und Bildern einer mythischen Vergangenheit. Seine Kompositionen sind reich an Erzählsträngen. Es sind freie Nacherzählungen der Geschichten der Pharaonen, religiöse Parabeln und Szenen, in denen das Leben der Fellachen oder Beduinenbräuche dargestellt sind (Alltagsszenen oder Hochzeiten und andere Feste). Die Bilder vereinen also Überlieferungen aus pharaonischer Zeit mit koptischen, islamischen, orientalischen und afrikanischen Einflüssen. Man fühlt sich bei den an Figuren wie an Ornamentalem reichen Zeichnungen erinnert an Miniaturmalerei oder sogenannte Wimmelbilder und denkt natürlich an einen Märchenerzähler. Nach eigenen Aussagen sah Ramadan Abu Suelem alle seine Kompositionen Visionen gleich vor seinem geistigen Auge, lange bevor er mit dem geduldigen Zeichnen und Malen begann. In seinen frühen Jahren malte er ausschließlich mit einem Stöckchen, einem zerkauten Dattelstengel, mittels dessen er seine Farben von den Fingerkuppen wegnahm.
Ohne die Ermutigung durch Ursula Schernig, die in Kairo als Galeristin für ägyptische und sudanesische Kunst arbeitete, und die Ramadan Abu Suelem mit gutem Papier und Malstiften oder Gouachefarben versorgte, gäbe es sicherlich nicht den umfangreichen Nachlass. Durch ihre Hilfe fand ein Autodidakt wie Scheich Ramadan Abu Suelem leichter die Möglichkeit, eine eigene Sprache zu entwickeln. Nicht erst posthum hat sein Werk einen hohen Stellenwert innerhalb der Outsider Art (art brut bzw. Kunst von self-taught artists) bekommen. In seinen Anfängen hatte er heimlich gemalt, weil sich das für jemanden seines Standes nicht schickte. Erst mit zunehmendem Erfolg wuchs der Stolz seines Dorfes und der Männer der Suelem auf seine künstlerischen Fähigkeiten. Auf die Frage, warum er male, erklärte Scheich Ramadan Abu Suelem, Gott treibe ihn dazu.
Die erste Ausstellung hatte Ramadan Abu Suelem 1984 im Goethe-Institut in Kairo. Später folgten viele Ausstellungen in Ägypten und in Europa, bspw. im ifa-Institut in Stuttgart, der Collection de L`art Brut in Lausanne, der Slovakischen Nationalgalerie in Bratislava, die ihm ihr Ehrendiplom verlieh, im IWALEWA-Haus in Bayreuth oder im Kunstverein Rosenheim. Für die Ausstellung 1989 in Stuttgart reiste er, der sonst sein Dorf nur verlassen hatte, um die Moulids zu besuchen, die volksfestähnlichen Heiligenfeste in Kairo, erstmals nach Europa.
(H.P.Miksch)