Pipilotti Rist (*1962 in Grabs, Schweiz) ist eine Pionierin der zeitgenössischen Videokunst. Mit raumgreifenden Videoprojektionen schafft sie faszinierende Erlebnisräume, die unterschiedliche Sinneseindrücke verschmelzen und auf das Körper-, Raum- und Zeitempfinden wirken. In der kestnergesellschaft werden zwei Videoinstallationen gezeigt, die erstmalig in Deutschland zu sehen sind. Den Ängsten und Anforderungen in unserer Leistungsgesellschaft setzt Rist hier traumartige Räume der Entspannung und der Imagination entgegen.Eine Videoprojektion über zwei Wände umspielt in »Worry Will Vanish Horizon« (2014) den Raum, der durch Vorhänge abgedunkelt ist. Wie in einem Ritual lassen die BesucherInnen beim Betreten ihre Schuhe und damit die Außenwelt hinter sich. Ausgelegte Bettdecken und weicher Teppichboden laden dazu ein, entspannt liegend in die projizierten Bild- und Klangwelten einzutauchen. Es beginnt eine lustvoll hypnotische Reise, die den menschlichen Körper mit anderen Organismen und seiner Umwelt bis hin zum Universum verbindet. In ungewöhnlichen Perspektiven durchdringen sich Einblicke ins Körperinnere mit geradezu haptisch wirkenden Nahaufnahmen von Haut und Pflanzenstrukturen, mit dem Sternenhimmel oder Wasser, das die Projektionsfläche umspült. Für die auf das Bildgeschehen abgestimmten Klänge arbeitete Rist mit ihrem langjährigen Kooperationspartner, dem Künstler und Musiker Anders Guggisberg zusammen. »Worry Will Vanish Horizon« wurde beeinflusst von Prinzipien des autogenen Trainings, einer Entspannungstechnik, die das Körperbewusstsein verstärkt und die Vorstellungskraft aktiviert. Teilweise digital animiert, fließen die farbintensiven, hochauflösenden Bilder rhythmisch choreografiert ineinander, so dass sich das Dargestellte in einem dynamischen Kontinuum aufzulösen scheint.
In der Videoinstallation »Sleeping Pollen« (2014) hängen spiegelnde Metallkugeln auf unterschiedlichen Höhen in einem zweiten, abgedunkelten Saal. Videoprojektoren in den Kugeln werfen kaleidoskopische Bilder in den Raum, welche Pflanzen und Gräser vor einem Sternenhimmel umkreisen. Der sphärische Eindruck wird durch die Geräuschkulisse aus einem sanften Klirren, Fiepen und Rauschen untermalt. Durch den Raum und die Projektionen wandelnd, werden auch hier die BetrachterInnen zu einem aktiven Teil der Arbeit. Rist bemerkt, dass »Sleeping Pollen«, »den Winterpflanzen ein elektronisches Bett in einem dunklen, gemütlichen Raum bietet. Ihre Träume kreiseln langsam in der Luft«. Statt Technik und Natur, Virtuelles und Körperliches unversöhnlich gegenüber zu stellen, ist hier das eine im anderen aufgehoben. Die Ausstellung wurde kuratiert von Heinrich Dietz. Parallel ist eine Einzelausstellung mit Werken von Nan Goldin (19. Juni bis 27. September 2015) zu sehen.