Die deutsche Künstlerin Sinje Dillenkofer zeigt im Ferdinandeum über 20 Bilder mit Innenansichten historischer Behältnisse, die zur Aufbewahrung von Schmuck, Tafelsilber, technischen Instrumenten, Urkunden oder Waffen dienen. Sie stammen aus privaten und öffentlichen Sammlungen in Innsbruck und Umgebung. Dillenkofer nutzt das historische Behältnis als Metapher. Die Künstlerin hinterfragt mit ihren Fotos kulturelle Wertvorstellungen, Machtverhältnisse verschiedener Epochen und den Begriff der Schönheit. Für die Besucherinnen und Besucher entspinnt sich in der Ausstellung ein interessantes Spiel, die Bilder mit ihrer mehrdimensionalen Bedeutung zu entschlüsseln.Menschen suchen für Gegenstände, die wertvoll oder ihnen wichtig sind, gerne passende Aufbewahrungsorte. Kostbare Schmuckstücke gibt man in fein ausgestattete Schatullen, empfindliche Instrumente verwahrt man in schutzgebenden Koffern. Wenn Dinge länger in einem Behältnis lagern, hinterlassen sie oft Spuren, zum Beispiel durch den Abdruck ihrer Form, durch Abnützung oder farbliche Veränderung der Innenstoffbespannung. Die deutsche Künstlerin Sinje Dillenkofer rückt in ihrer Ausstellung „Sinje Dillenkofer. Architekturen des Archivs“ im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innenansichten historischer Behältnisse ins Zentrum ihrer Betrachtung. Sie zeigt 21, teils mehrteilige Bilder aus der Werkgruppe CASES, in der sie mit dem Medium Fotografie arbeitet.
Die Bilder zeigen das Innere von Schatullen, Etuis, Futteralen sowie Koffern, in denen etwa Münzen, Besteck, Schmuck, liturgische Gegenstände oder technische Instrumente aufbewahrt werden. Dillenkofer nutzt das historische Behältnis als Metapher, seinen architektonischen Raum als Bild-Raum. Die Fotos können als Index gelesen werden, der über die gesellschaftliche Funktion und Bedeutung der Gehäuse Auskunft gibt.
„In ihrem vielschichtigen Œuvre nutzt Dillenkofer auf unterschiedliche und überraschende Weise das Medium der Fotografie, um neue Wahrnehmungen von Wirklichkeit zu ermöglichen. Mit ihrer Serie CASES gelingt es der Künstlerin, das Abwesende in der Fotografie zu dokumentieren bzw. sichtbar zu machen“, betont PD Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmuseen. Und fährt fort: „Schon die Zweideutigkeit des Begriffs CASES fordert eine intensive Beschäftigung mit dem Gesehenen.“
„Da die Gegenstände, die in den von Dillenkofer fotografierten Behältnissen aufbewahrt werden, selbst im Bild nicht vertreten sind, entspinnt sich für den Ausstellungsbesucher ein interessantes Spiel, das rätselhaft Abwesende zu entschlüsseln sowie die Spuren des Versteckten sinnlich zu erfahren“, ergänzt Dr. Günther Dankl, Kurator der Ausstellung und Kustos der Kunstgeschichtlichen Sammlungen ab 1900 & Grafischen Sammlungen der Tiroler Landesmuseen.
Architekturen des ArchivsDillenkofer hat für ihre Serie CASES in privaten und öffentlichen Sammlungen in Innsbruck, Hall und Wattens – wie etwa in den Tiroler Landesmuseen, im Schloss Ambras, im Stadtarchiv/Stadtmuseum, im Tiroler Landesarchiv und in der Medizinhistorischen Sammlung Saluteum – nach Behältnissen mit kulturgeschichtlicher Bedeutung recherchiert. Dillenkofer lässt in ihren Fotos die leeren Gehäuse überdimensional groß oder klein erscheinen und experimentiert mit Farbgebung und Schärfe. So hat zum Beispiel CASE 19, der einem über 100 Jahre alten Messkelch des Stift Wilten zuzuordnen ist, eine Höhe von über zwei Meter. Die Arbeit ist in Verbindung mit dem omnipräsenten Katholizismus in Tirol zu sehen. Dillenkofer hinterfragt auf eindrucksvolle Weise durch die metaphorische Ebene ihrer Bilder kulturelle Wertvorstellungen, Machtverhältnisse verschiedener Epochen und den Begriff der Schönheit. Zum Bild gewordene Speicher Dillenkofers CASES haben zum anderen das Speichern und Archivieren selbst zum Thema. Die Künstlerin knüpft damit an die Tradition einer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Archiv und dem Archivieren an. Die inhaltliche Funktion der fotografierten Behältnisse, das Archivieren, erschließt sich durch Details wie Einbuchtungen, eingesetzte Raster, Abteilungen oder Schubladen im Inneren. Ihre repräsentative Funktion vermittelt u. a. das verwendete Material wie hochwertiges Holz, Samt und Seide sowie Dekorationselemente. Bei Dillenkofers CASES kommt es zu einer Sichtbarmachung jenes Ordnungssystems, das die Grundlage jeglicher musealen Arbeit bildet. Zugleich sind ihre CASES Repräsentanten von Speichersystemen. Sie sind Inhaltsträger und Bewahrer in einem – und somit „Museen“ in sich. Das Behältnis als Fall „Cases“ steht im Englischen für „Koffer, Behältnisse, Gehäuse, Etuis“ und für juristische, kriminologische oder generelle „Fälle“. Beide Übersetzungsvarianten sind bei Dillenkofer zutreffend. Gegenstände wie Schützenbecher, Armband, Olympiafackel, Revolver und Urkunden sind in den Behältnissen nur als Hohlraum bzw. durch die Spuren ihres Abdrucks präsent. Die Fotografien der CASES scheinen so das Abwesende in ihnen zu verkörpern. Sie werden zu sogenannten „Fällen“ und ihre Geschichten erst in der Imagination des Betrachters lebendig. Dillenkofers Bilder offerieren sich so als ,Spiegel‘ der Gedanken des Betrachters und ‚Zeugnis’ der Zeit, aus der sie stammen.