Otto Finsch war ein großartiger Zeichner, der viel Wert auf die detailgetreue Wiedergabe seiner Beobachtungen legte. Er skizzierte Menschen und ihre Gegenstände in ihrer unmittelbaren Umgebung, er zeichnete Landschaften, Boote, Häuser und Siedlungen, Nahrungsmittel, Haustiere und seltene Vögel, die seiner Vorliebe für das Fachgebiet der Ornithologie entsprachen. Otto Finsch war aber auch ein leidenschaftlicher Sammler und Museumskurator, ein rastloser Wissenschaftler und Autor, der mit Begeisterung und Akribie die Erlebnisse und Ergebnisse seines Reisens in der Südsee systematisch dokumentierte und in Wanderausstellungen mit Lehrsammlungscharakter präsentierte. Seinem Beispiel folgen wir in dieser Sonderausstellung.
Die von Otto Finsch selbst angefertigten, kompositorisch und ästhetisch ansprechenden „Objektblätter“, Zeichnungen auf Papier und Karton, illustrieren die großartige Handwerkskunst der Pazifikbewohner im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die auf diesen kolorierten Zeichenblättern abgebildeten ethnographischen Gegenstände werden in der Ausstellung in folgende thematische Zusammenhänge gestellt: „Wertmesser und Zahlungsmittel“, „Wertvolle Gegenstände als Zeichen von Macht und Würde“, „Kampf und Prestige“, „Werkzeuge und Amulettschmuck“, „Schmuck aus Schildpatt und Zähnen“, „Muschel- und Schneckenschalen“ sowie „Kunst aus dem Bismarck-Archipel“.
Otto Finsch (geb. am 8. August 1839 in Warmbrunn, Schlesien, gest. am 31. Jänner 1917 in Braunschweig) sollte auf Wunsch seines Vaters Moritz Finsch, der eine Glasschleiferei und eine Zeichenschule im schlesischen Warmbrunn leitete, Kaufmann werden. Im Jahr 1858 reiste der neunzehnjährige Otto Finsch nach Ungarn und Bulgarien, um sich seinen naturwissenschaftlichen Interessen und dem Studium der Vogelwelt zu widmen. Ab 1861 arbeitete F. H. Otto Finsch als Assistent von Hermann Schlegel und Jan van der Hoeven am niederländischen Reichsmuseum für Naturgeschichte zu Leiden. 1864 erhielt er auf Empfehlung des Arztes und Ornithologen Gustav Hartlaub eine Stellung als Konservator bei der naturwissenschaftlichen Museumsgesellschaft in Bremen und wurde im Jahr 1876 zum ersten Direktor der Bremer Städtischen naturgeschichtlichen und ethnographischen Sammlungen ernannt. 1876 begleitete Otto Finsch den Zoologen Alfred Brehm auf einer Reise nach Westsibirien, von der beide Wissenschaftler mit einer großen zoologischen Ausbeute für das Königliche Museum in Berlin und für das British Museum in London zurückkehrten.
Im Jahr 1879 kündigte Otto Finsch sogar seine Direktorenstelle in Bremen, um mit Unterstützung der Humboldt-Stiftung in Berlin seine erste große Südsee-Reise (1879–1882) zu den Hawaii-, Marshall- und Gilbert-Inseln, zu den Karolinen, nach Neubritannien, Neuguinea, Australien, Neuseeland und Java anzutreten. Seine zweite Südsee-Expedition (1884–1885) unternahm Finsch im Auftrag des privatwirtschaftlichen Hamburger Neuguinea-Konsortiums (später: „Neuguinea-Kompanie“) unter der Leitung von Adolph von Hansemann. Von Sydney aus reiste er mit Kapitän Eduard Dallmann auf dem Dampfer „Samoa“ zum Bismarck-Archipel und nach Neuguinea. 1885 wurde die Nordosthälfte der Insel Neuguinea unter dem Namen „Kaiser-Wilhelms-Land“ zum „Schutzgebiet“ der Neuguinea-Kompanie deklariert. Die Stadt Finschhafen in der heutigen Morobe-Provinz wurde zum ersten Verwaltungssitz der deutschen Neuguinea-Kolonie ernannt, während die Nordküste Neuguineas zwischen der Humboldt Bay und der Mündung des Kaiserin- Augusta-Flusses (Sepik) den Namen „Finsch-Küste“ erhielt.
Nach seiner Rückkehr aus Neuguinea heiratete Otto Finsch 1886 Elisabeth Hoffman (1860– 1925), die Tochter des Malers Moritz Wilhelm Hoffman (1823–1896); sie unterstützte ihn tatkräftig bei der Erarbeitung und Illustration seiner Publikationen. Als freischaffender Wissenschaftler und Privatgelehrter lebte Otto Finsch mit seiner Familie von 1886 bis 1896 in Bremen und Delmenhorst, wo er sich der Auswertung seiner ethnographischen Sammlungen und Forschungsergebnisse widmete. In dieser Zeit verkaufte Otto Finsch den Großteil seiner privaten Sammlungen an europäische, russische und amerikanische Museen. Von 1897 bis 1903 arbeitete Otto Finsch wieder am Naturgeschichtlichen Reichsmuseum in Leiden. Im Jahr 1904 wurde er zum Nachfolger des Naturwissenschaftlers Richard Andree am Städtischen Museum in Braunschweig berufen, wo er für die Neuaufstellung der völkerkundlichen Sammlungen sorgte und ab 1914 bis zu seinem Tod im Jahr 1917 auch die Direktion des Museums innehatte.
Die anthropologischen Wissenschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren von der geistigen und technologischen Überlegenheit sowie dem daraus resultierenden Machtanspruch europäischer Nationen in der Welt überzeugt. Das Sammeln materieller Kulturgüter entsprach den Wünschen und Forderungen der zeitgenössischen Gelehrtenschaft, evolutionistische, diffusionistische und rassenkundliche Ideen zu untermauern. Gesammelt wurden Alltags- und Ritualobjekte, ausgewählte Schmuckformen und Hausverzierungen, zoologische, botanische und mineralogische Präparate aus den neu entdeckten Regionen. Deshalb ist die Sammlungsgeschichte völkerkundlicher Museen in ihren Anfängen immer im Kontext der europäischen Kolonialpolitik zu sehen. Die koloniale Erschließung der Südsee brachte nicht nur Verwaltungsbeamte, Soldaten, Missionare, Handwerker und Händler, sondern eben auch Forschungsreisende wie Otto Finsch in unterschiedlicher Intensität mit fremden Menschen und Kulturen in Berührung.
Das Ausstellungsplakat zeigt das Motiv „Begrüßung des Dr. Finsch in Dallmannshafen (Kaiser-Wilhelms-Land)“. Es stellt Otto Finsch bei seiner Forschungsarbeit in Dallmannhafen an der Nordküste Neuguineas im April 1885 dar und lässt eine gewisse Distanz in der Begegnung zwischen den Vertretern zweier extrem unterschiedlicher Welten erkennen. Der europäische Forscher im hellen Tropenanzug und mit Hut wird bei seiner Arbeit mit Bleistift und Papier von interessierten Papuas umringt. Die Männer präsentieren sich in ihrem Festschmuck und bieten Otto Finsch offensichtlich eine Schmuckkette, eine Maske, Kalebassen und Schweine zum Tausch oder Kauf an. Dieses und auch andere Bilder, die Begegnungen unterschiedlicher Art zwischen den Inselbewohnern, Händlern, Missionaren und deutschen Kolonialbeamten zeigen, wurden im Rahmen einer von Otto Finsch im Jahr 1890 zusammengestellten Pazifik-Sonderausstellung in Bremen präsentiert. Das Originalgemälde von Moritz Wilhelm Hoffman (1823–1896), seinem Schwiegervater, das sich heute im Bildarchiv des Übersee-Museums Bremen befindet, wurde vom Künstler nach einer von Otto Finsch selbst skizzierten Vorlage angefertigt.
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