In einem raschen Perspektivenwechsel zwischen wesentlichen Momenten der MAK- Geschichte und zukünftigen, für das Museum richtungsweisenden Designthemen des 21. Jahrhunderts skizziert VORBILDER die Entwicklung des MAK von einer Förder- und Bildungseinrichtung für das österreichische Kunstgewerbe zu einem der internati- onal führenden Kompetenzzentren und Schauplätze für angewandte Kunst, Design, Architektur und Gegenwartskunst. Die AusstellungskuratorInnen Tulga Beyerle, Direk- torin des Kunstgewerbemuseums in Dresden, und Thomas Geisler, Kustode MAK- Sammlung Design, beide Mitbegründer der Vienna Design Week, wählten einerseits beispielhafte Persönlichkeiten, welche die 150-jährige Museumsgeschichte maßgeblich mitgestalteten, und andererseits Vorreiter für visionäre Designansätze aus, die sie mit- einander in Beziehung setzten.
Die neun zeitgenössischen DesignexpertInnen loten in Dialogen, filmisch für die Aus- stellung dokumentiert, mit einer stimulierenden Person ihrer Wahl die Zukunft der angewandten Kunst sowie die Perspektiven ihr verschriebener Museen aus. Parallel dazu skizzieren sie anhand exemplarisch ausgewählter Design-Exponate mögliche zu- künftige Themenfelder und Erweiterungen der einzigartigen MAK-Sammlung mit Weltruf.
So trifft etwa das DesignerInnenduo Dunne & Raby (Fiona Raby, u. a. Professorin für Industrial Design an der Universität für angewandte Kunst Wien, und Tony Dunne), das die Fachrichtung Design Interaction am Londoner Royal Collage of Art etablierte und darüber hinaus einen spekulativen Designansatz verfolgt, auf den britischen Pro- duction Designer Alex McDowell (u. a. Minority Report, 2002), mit dem der Einfluss von Science- und Social-Fiction-Literatur auf die materielle Kultur des Alltags disku- tiert wird. Als Beitrag zur Ausstellung wählten sie Textpassagen, etwa von Edward Bel- lamy (Looking Backward: 2000–1887, 1888) oder Margaret Atwood (Oryx and Crake, 2014), die sowohl utopische wie dystopische Produktbeschreibungen liefern.
Ähnlich debattiert Jan Boelen, Gründer und Direktor des Kunstzentrums Z33 – House for contemporary art im belgischen Hasselt und Leiter des Social Design De- partment an der Design Academy Eindhoven, mit dem in London beheimateten Archi- tekten und Entwickler verschiedener digitaler Co-Working-Plattformen Indy Johar über neu gestaltete Systeme jenseits der industriellen Gesellschaft und ihre Produkti- onsweisen. Mit dem Curiosity Cabinet (2014) des niederländischen Commonplace Studio, das verschiedene Projekte an der Schnittstelle analog und digital beinhaltet, stellt Boelen für ein Museum relevante Fragen nach Autorenschaft, Besitz- und (geisti- gen) Eigentumsverhältnissen.
Der Designer Konstantin Grcic spricht mit dem Autor und Wissenschaftsjournalis- ten Hubert Filser (u. a. Süddeutsche Zeitung), einem studierten Physiker, über das Aussterben des Möbeldesigns und verweist auf die vorbildhafte Haltung von Kollegen, wie Maarten van Severen, Philippe Starck und Jasper Morrison sowie für ihn beispiel- gebende Designunternehmen wie Muji, Magis und Mattiazzi. In seiner Auswahl finden sich Designklassiker wie Starcks TV Jim Nature (1994), der Lounge-Chair LC95A (1993–1995) von Maarten van Severen oder der Plywood Chair (1988) von Morrison ebenso wie Bild- und Textmaterial, das den Kosmos seiner „Vorbilder“ zum Ausdruck bringt.
Über die inspirierende Kraft von Ikonen in 2-D und 3-D – etwa eines antiken persi- schen Korans, japanischer Plakatgrafiken von Tadanori Yokoo oder Makoto Saitto, des 3-D-gedruckten Sofas Random Pak Twin (2006) von Marc Newson oder des Autoklassikers Jaguar E-Type (1961) – und deren Bedeutung in einer Sammlung von Vorbil- dern unterhalten sich der in New York lebende österreichische Grafikdesigner Stefan Sagmeister und die Fotokünstlerin Elfie Semotan, die vor und hinter der Kamera die Modewelt geprägt hat. In diesem Dialog und in Sagmeisters Auswahl geht es naturge- mäß um „pure Schönheit“.
Die Designforscherin und Leiterin des Design Research Lab der Berliner Universität der Künste, Gesche Joost, zudem Internetbotschafterin zu Themen der digitalen Zukunft der deutschen Bundesregierung im Europäischen Parlament, trifft auf den deutschen Soziologen und Zukunftsforscher Harald Welzer und erörtert beispielhaft die sich abzeichnenden Veränderungen in der Arbeitswelt: Unter dem Einfluss neuer Technologien wie des 3-D-Printings und einer auf Autonomie ausgelegten Maker- Bewegung entstehen neue Rollenverständnisse. In ihrer Auswahl diskutiert sie Open- Source-Praktiken und -Plattformen wie Creative Commons (creativecommons.org) oder Adhocracy (adhocracy.de), aber auch manifestes Design wie das One-Sqm-House (2012) des Berliner Hartz IV-Möbeldesigners Le Van Bo oder EU-unkonformes Gemü- se von Culinary Misfits.
Neue Technologien sind auch Thema bei Sabine Seymour, der Gründerin von Moondial. Als Fashion Technologist arbeitet sie an der Schnittstelle von akademischer, kultureller und wirtschaftlicher Forschung und Entwicklung, u. a. an der Parsons The New School for Design, New York, für das Eyebeam Art+Technology Center, New York und MAK FASHION Lab sowie mit Intel, DuPont und Johnson Controls. Mit Niyazi Serdar Sarıçiftçi, dem Leiter des Institute for Organic Solar Cells an der Johannes Kepler Universität in Linz, spricht sie am Beispiel von Entwürfen von Iris van Herpen, Hussein Chalyan, Albert Kriemler (Akris), Neri Oxman oder Asher Levine über zukünf- tige Entwicklungen in der Mode und intelligente Textilien. Ihre kuratorische Wahl fiel unter anderem auch auf Google Glass (2014), einen Aufsatz, der die Brille zum digita- len Screen werden lässt und erstmals in Österreich gezeigt wird.
Mit ihrem Team von Participle nutzt Hilary Cottam Methoden wie Design Thinking für Lösungsansätze in der Kranken- und Altenpflege, Jobvermittlung oder im Aufbau von Selbsthilfegruppen. Als Sozialwissenschaftlerin wurde sie 2005 zum UK Designer of the Year gekürt und entwickelt nun als Social Entrepreneur laufend beispielhafte Einrichtungen, die Zahlen und Fakten für die Verbesserung des britischen Wohlfahrts- systems liefern. Mit der Designerin Jennie Winhall, die an vielen Participle-Projekten beteiligt war, diskutiert sie die Ansätze ihrer Social-Design-Prozesse. Inspiriert vom britischen Reformer William Beveridge (1879–1963) haben sie das visionäre Programm Beveridge 4.0 (2008) konzipiert. Ihr „Produkt“ ist eine bessere Gesellschaft, die sich jedoch im Museum kaum ausstellen oder archivieren lässt.
Den Kunst- und Architekturkritiker Hans Ulrich Obrist, Co-Direktor und Kurator an der Serpentine Gallery in London, interessieren unvollendete Projekte. Wie das Scheitern auf die Zukunft wirkt, diskutiert er mit der Designkommentatorin Alice Rawsthorn, Designkritikerin der International New York Times und Kolumnistin für Frieze, am Beispiel einer Reihe nicht realisierter Projekte von DesignerInnen wie Irma Boom, Matthew Carter, Nathaniel Corum, Martina Gamper, Hella Jongerius, Emily Pilloton oder Casey Reas.
In den konzeptionellen und experimentellen Ansätzen von Maarten Baas oder Nacho Carbonell sieht die Trendforscherin und ehemalige Präsidentin der Design Academy Eindhoven Lidewij Edelkoort die verändernden Kräfte und neuen Strömungen im Design, die sie gemeinsam mit dem Kunstpädagogen und Rektor der Bernard Lieve- goed University, Jeroen Lutters hinsichtlich einer „Schule des universellen Lernens“ diskutiert. In ihrem Beitrag zur Ausstellung stellt sie junge Talente aus aller Welt wie den Südamerikaner Rodrigo Almeida, den Afghanen Massoud Hassani oder den Islän- der Brynjar Sigurðarson neben etablierte Namen wie Rai Kawakubo oder Issey Miyake.
Die gegenwärtigen Positionen mischen sich in VORBILDER mit ProtagonistInnen und Sammlungsobjekten, die über die Entwicklungsgeschichte des MAK erzählen. Zeit- übergreifende Querverbindungen schlagen die Brücke zur MAK-Geschichte, die in der Ausstellung kaleidoskopisch dargestellt wird. Künstler der Renaissance, welche die MAK-Fassade des programmatischen Ringstraßenbaus (1868–1871) in Form von Reliefs und Namensplaketten in einem umlaufenden Fries zieren, waren die Vorbilder, die den Start der internationalen Reputation des Museums markierten. Im Folgenden setzten Direktoren, MuseumsmitarbeiterInnen, KünstlerInnen, SammlerInnen, Entre- preneure und Förderer die 150-jährige Geschichte des Hauses fort. Die filmische Arbeit Das Band [Vorbilder] (2014) der Haneke-Schüler Pavel Cuzuioc und Michael Schinde- gger verweist am Ausstellungseingang auf diese Verbindung und Kontinuität.
Diese Persönlichkeiten, von Rudolf von Eitelberger (Gründungsdirektor 1864–1885) oder Peter Noever (Direktor 1986–2011) bis hin zu den SammlerInnen Bertha Pappen- heim (1859–1936) oder Julius Paul (1867–1938), inspirierten die KuratorInnen zur Auswahl signifikanter Exponate aus der neben Büchern, Zeitschriften und Archivalien rund 600 000 Objekte umfassenden MAK-Sammlung, die eine materielle Zeitreise durch die Entwicklungsgeschichte vom Kunstgewerbe zum Design dokumentieren so- wie Brüche und Wendepunkte aufzeigen.
„Haben wir anfangs die Aktualität von Vorbildern selbst in Frage gestellt, sind wir von deren Notwendigkeit gerade heute überzeugt. Das Museum ist der ideale Ort, um sie zur Disposition zu stellen und zu verhandeln. Nicht um sie unantastbar auf Podesten zu platzieren, sondern um in der Auseinandersetzung mit ihnen eigene Standpunkte und Orientierung zu finden“, erklären Tulga Beyerle und Thomas Geisler ihren kuratori- schen Zugang zu VORBILDER, den sie mit dem Wiener Gestaltungsbüro Lichtwitz Leinfellner visuelle Kultur KG umsetzen. Geistige Anleihe fanden sie dafür bei der deutschen Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich (1917–2012), die zu ihrer immer noch gültigen Publikation Das Ende der Vorbilder – Vom Nutzen und Nachteil der Idealisierung (1978) meinte: „Wir alle brauchen Ideale, Vorbilder, Ziele, an denen wir uns orientieren, nach deren Verwirklichung wir streben können. Ohne sie sind wir ei- nem Gefühl der Leere ausgesetzt, das lebendige Interesse an den Dingen der Welt und an unseren Mitmenschen geht verloren.“
Eine Online-Beteiligungsplattform zur Ausstellung in Zusammenarbeit mit partou e.G. bietet als fortlaufendes Liquid Democracy-Projekt die Möglichkeit zur Kommentierung und eigenen Ergänzung der zeitgenössischen Vorbildersammlung: MAK.at/participate
NACHBILDER. 150 Jahre MAK: Ausstellungen im Bild Flankierend zu VORBILDER setzt sich die Ausstellung NACHBILDER. 150 Jahre MAK: Ausstellungen im Bild (MAK-Kunstblättersaal, 11. Juni–5. Oktober 2014) an- hand historischer und moderner Fotografien von MAK-Ausstellungen mit Präsen- tationsformen von Ausstellungsinhalt und Raumkonzeption im jeweiligen zeitgenössi- schen Kontext auseinander. Die Ausstellung NACHBILDER wird zeitgleich mit VORBILDER eröffnet. Kuratiert von Kathrin Pokorny-Nagel, Leitung MAK-Bibliothek und Kunstblättersammlung/Archiv
ÖffnungszeitenDi 10:00–22:00 Uhr, Mi–So 10:00–18:00 UhrJeden Dienstag 18:00–22:00 Uhr Eintritt frei
Eintritt€ 7,90 / ermäßigt € 5,50 Eintritt frei für Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre
Jeden Dienstag 18:00–22:00 Uhr Eintritt frei
Familienkarte € 11 (2 Erwachsene + mind. 1 Kind bis zum 14. Lebensjahr)
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