Nachdem die vom Publikum begeistert angenommene Ausstellung „Von Alt bis Schiele“ am 9. Jänner zu Ende ging, öffnet nun am 20. Jänner die zweite Sonderausstellung der Graphik der Schenkung Kastner ihre Pforten. Dieser zweite Teil ist der internationalen Druckgraphik gewidmet, wobei der zeitliche Rahmen viel weiter reicht als im Titel angekündigt. Sie beginnt nämlich mit Kupferstichen von Albrecht Altdorfer und Heinrich Aldegrever, also Werken des 16. Jahrhunderts. Es sind kleinformatige Sammlerstücke, die man fast mit der Lupe betrachten muss. Das gilt auch für die meisterhaften, ebenfalls sehr kleinen Tierszenen Nicolaes Berchems.Die Graphik bot die Möglichkeit, berühmte Bilder rasch zu verbreiten. Auf diese Weise erlangten etwa die klassischen Landschaften Claude Lorrains große Bekanntheit. Prachtvoll und fast theatralisch präsentieren sich hingegen die großen Veduten Giovanni Battista Piranesis, der uns in seinen großformatigen „Vedute di Roma" die schönsten Bauten des antiken Rom präsentiert. Vor einer antiken Kulisse lässt Giandomenico Tiepolo seine „Via Crucis", den Kreuzweg Christi spielen, ein Werk, das gläubigen Menschen tief zu berühren vermag.
Während aber bei Tiepolo über allem Leid der Glanz der Auferstehung leuchtet, stürzen die 3 großen Graphik-Zyklen Francisco de Goyas den Betrachter in eine irdische Hölle, aus der es kein Entrinnen und keine Erlösung gibt. Hilflos ist der Mensch seinen Albträumen ausgeliefert. „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ hat Goya jenes Blatt betitelt, das wie kein anderes die Situation des modernen Menschen verdeutlicht, dessen Gott unendlich fern scheint. Kaum ein anderer Künstler hat die Sinnlosigkeit menschlichen Leidens derart erschütternd wiederzugeben vermocht. Seine grauenhaften Folterszenen überschreiten gelegentlich die Grenzen des Vorstellbaren und Erträglichen.
Goya starb im französischen Exil, und auch die französische Kunst des 19. Jahrhunderts ist reich in der Ausstellung vertreten. Neben einem herrlichen Blatt Théodore Gericaults sind zahlreiche Zeitungskarikaturen Daumiers und Gavarnis zu sehen. Vor allem aber ist auf einige außergewöhnliche Werke der Impressionisten Edgar Degas, Edouard Manet und Auguste Renoir hinzuweisen. Auf diese Weise gelangte etwa Manets berühmte, skandalumwitterte „Olympia“ ins Oberösterreichische Landesmuseum, wenn auch „nur“ als Holzschnitt. Auch die Symbolisten Odilon Redon und Edvard Munch sowie Paul Cézanne, der große „Vater“ der Moderne, sind mit jeweils mehreren Werken in der Sammlung zu finden. Munchs berühmtes Selbstbildnis mit Knochenarm ist nicht nur eines der großartigsten Blätter der Sammlung, sondern auch eines der wertvollsten.
Bei den deutschen und schweizer Künstlern sind Adolph von Menzel, Karl Stauffer-Bern sowie Max Slevogt, und Max Liebermann und Lovis die Corinth meisten mit von teilweise ihnen farbigen mit Lithographien Radierungen vertreten, auch Selbstbildnissen. Eines der schönsten Blätter Corinths zeigt den Dichter Johann Wolfgang von Goethe und steht damit für die zweite große Liebe Walther Kastners, nämlich die Literatur.
Corinths ausdrucksvolle Spätwerke leiten unmittelbar zur Graphik des deutschen Expressionismus über, darunter Holzschnitte und Lithographien von Lyonel Feininger, Ernst Barlach, Max Beckmann, Georges Grosz, Erich Heckel, Carl Hofer und Ernst Ludwig Kirchner – alles Künstler, die im Dritten Reich verfemt und in der Ausstellung „Entartete Kunst“ vertreten waren.
Viele europäische Maler sammelten japanische Farbholzschnitte, weil sie in der bunten Welt des ukiyo-e ihre eigenen Vorstellungen vorweggenommen sahen. Auch Walther Kastner ließ sich von dieser Japan-Euphorie erfassen, und so sammelte er viele berühmte Werke, etwa aus der Serie der Stationen des Tokaido oder das herrliche Blatt des herab stürzenden Fischadlers von Ando Hiroshige. Daneben sind aber auch seltene Drucke vertreten, etwa eine junge Mutter, die mit ihrem Baby spielt. Überhaupt ist die Sammlung thematisch sehr facettenreich, wir finden Teehausszenen und Porträts schöner Frauen, aber auch Szenen aus dem Kabuki-Theater, wo alle Rollen von Männern gespielt wurden und Episoden aus Heldengeschichten. Es sind Holzschnitte im schmalen Pfosten- Format dabei, aber auch große, aus mehreren Blättern bestehende Werke.
Schließlich enthält die Sammlung auch eine beachtliche Auswahl von Graphik der klassischen Moderne, darunter Blätter von Maurice Vlaminck, Fernand Léger, Henri Matisse und Pablo Picasso. Ein Blatt von Kandinsky hing bis zuletzt über Kastners Bett. Ein lebensfrohes, ja heiteres Blatt, das wie kein anderes, Kastners Leitspruch zu illustrieren vermag: „Wer zu sammeln beginnt, wird ein freudiger Mensch“.
Provenienzforschung zur Sammlung Kastner Nähere Informationen sowie einen ausführlichen Bericht zur Provenienzforschung anlässlich der Sammlung Kastner finden Sie auf unserer Homepage http://www.landesmuseum.at.
Für Fragen zur Provenienzforschung steht Ihnen gerne Frau Dr. Birgit Kirchmayr (Johannes Kepler Universität Linz) zur Verfügung. Telefon: +43-732/2468-8842