Im Dezember 2022 gelang dem Germanischen Nationalmuseum ein spektakulärer Ankauf:Mit „Marine“ von Lyonel Feininger (1871–1956) konnte dank Mitteln der Ernst von Siemens Kunststiftung und einerprivaten Stiftung erstmals ein Gemälde dieses bedeutenden Künstlers für die Sammlung erworben werden.Das Seestück zeigt ein Dampfschiff, einen Dreimaster und einen Fischkutter auf wellenbewegtem Meer in der für Feininger typischen grafisch-prismati-schen Malweise. In hellen Naturtönen spiegeln sich die Schattierungen des Lichts in kantigen Wasser-und Wolkenflächen, zwischen denen sich die drei Wasserfahrzeuge einfügen. Entstanden ist das Gemälde 1919, als der deutsch-amerikanische Maler, Grafiker und Karikaturist als einer derersten Lehrer an das frisch gegründete Staatliche Bauhaus Weimar berufen wurde.
Auch das Motiv ist typisch für Feininger, der über eine ganz besondere Beziehung zu Schiffen verfügte. Als autonome Motive finden sie sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts auf frühen Zeichnungen, ab 1908 auch auf seinen Gemälden. Feininger kannte unterschiedliche Schiffstypen aus eigener An-schauung. Schon als Kind hatte er fasziniert den Schiffsverkehr auf dem Hudson River in New York beobachtet, ab 1892 verbrachte er seine Ferien regelmäßig an der Ostsee. Seine Kenntnisse vertiefte er mit dem intensiven Studium nautischer Fachliteratur, die sich in seiner Bibliothek befand. Bis ins hohe Alter baute Feininger mit kindlichem Eifer auch selbst schwimmfähige Schiffsmodelle.
„Werke von Lyonel Feininger begleiten die 40-jährige Fördertätigkeit der Ernst von Siemens Kunststiftung. Kurz nachdem das Gemälde „Im Schnee" für die Lyonel-Feininger-Galerie in Quedlinburg erworben wurde, bereichert nun erstmals ein Gemälde dieses Künstlersauch die Sammlung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. „Marine" ist ein wunderbares Beispiel für Feiningers moderne Form der Marinemalerei und eine großartige Ergänzung für den Bestand", freut sich Dr. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung.
Das neu erworbene Gemälde ist ab sofort in der Dauerausstellung zu Kunst und Design des 20. Jahrhundert im Germanischen Nationalmuseum ausgestellt. Ergänzend sind bis Sonntag, 15. Oktober 2023 grafische Blätter mit Schiffsdarstellungen aus dem 16. bis 19. Jahrhundert zu sehen, außerdem grafische Blätter aus einer von Feininger verantworteten Bauhausmappe.
Feininger als MigrantDas Gemälde „Marine“ ist außerdem Teil eines Rundgangs, der begleitend zur aktuellen großenSonderausstellung „Horizonte. Geschichten und Zukunft der Migration“ Werke und Künstlerbiografien mit Migrationshintergrund in der Dauerausstellung hervorhebt.
Carl Léonell Feininger wurde 1871 als Kinddeutsch-amerikanischer Musiker in New York geboren. Mit 16 Jahren kam er erstmals nach Deutschland, als er seine Eltern auf einer Konzerttournee begleitete. Noch im selben Jahr begann er ein Studium an der Hamburger Gewerbeschule, wechselte dann nach einem Jahr an die Königliche Akademie der Künste in Berlin. In den folgenden Jahren arbeitete Feininger als Illustrator und Karikaturist, reiste nach Paris und knüpfte Kontakte zu Mitgliedern des „Blauen Reiters“ und der Künstlergruppe „Die Brücke“. Im Jahr 1919, als auch das Gemälde „Marine“ entstand, wurde er zur Gründung ans Staatliche Bauhaus Weimar berufen. Feininger hatte sich in der deutschen Kunstszene etabliert –und steht für eine erfolgreiche Migrationsgeschichte.
Im Jahr seiner Berufung verbrachte Feininger bereits seit mehr als 25 Jahren seine Sommerurlaube an der Ostsee. Ausnahmen bildeten die Sommer 1918 und 1919 am Ende und nach dem Ersten Weltkrieg aufgrund der Reisebeschränkungen für amerikanische Staatsbürger. „Marine“ fertigte Feininger also aus der Erinnerung und nicht vor Ort. Erst Anfang der 1920er Jahre vermochte Feininger seine Ostseeaufenthalte wieder aufzunehmen.
Unter den Nationalsozialisten wurden Feiningers Werke als „entartet“ diffamiert und verboten. Der Künstler entschied sich für eine Re-Migration, verließ Deutschland 1936und kehrte in die USA zurück, wo er an seine künstlerischen Erfolge anknüpfen konnte, weiter unterrichtete und ausstellte.