Das Passepartout folgt ästhetischen Aspekten, es schützt das Kunstwerk in vielerlei Hinsicht und es kann wissenschaftlich relevant sein. Zum Beispiel, wenn Menschen drauf schreiben. Warum sie das tun, ob sie das überhaupt tun dürfen und was uns das Geschriebene sagt, erzählt uns in dieser Folge Ralf Bormann, Leiter der Grafischen Sammlung.Zur AusstellungUm die 40.000 Grafiken umfasst der Bestand der Grafischen Sammlung der Tiroler Landesmuseen. Eine Menge an Werken, bei denen zum Großteil allerdings genaue Angaben zu Herkunft und Künstler*in fehlen. Um diese Wissenskluft zu schließen, haben wir eine Reihe von italienischen Zeichnungen des 16. bis 18. Jahrhunderts ausgewählt. In Zusammenarbeit mit 30 Expert*innen aus aller Welt wurden Zeichenstil, Symbole und andere Auffälligkeiten der Arbeiten diskutiert sowie Einschätzungen über die Zuschreibungen abgegeben. Die Sammlungspräsentation gibt Einblicke in diesen faszinierenden Prozess und zeigt neben den Grafiken sowohl die ursprünglich vermerkten Angaben als auch die oft kontroversen Urteile der Kunsthistoriker*innen.
Zur Sammlungspräsentation erscheint der opulent bebilderte Katalog „Passepartoutnotizen. Unbekannte italienische Zeichnungen aus eigenem Bestand“, hg. von Peter Assmann und Ralf Bormann, Berlin: Deutscher Kunstverlag, 2021, 352 Seiten.
Ralf Bormann, Leiter der Grafischen Sammlung und Initiator des Projekts, zur Sammlungspräsentation „Passepartoutnotizen“:
Seit nahezu 200 Jahren sammelt und bewahrt das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum neben Gemälden, Skulpturen, Musikinstrumenten, Büchern, naturkundlichen Objekten sowie archäologisch, historisch und volkskundlich relevanten Artefakten auch Arbeiten auf Papier. Nach herkömmlicher Zählung ist der Bestand unterdessen auf 30.000 Blatt angewachsen, mutmaßlich aber handelt es sich eher um deren etwa 40.000. Unter diesen Grafiken bewahren wir rund 1.000 italienische Zeichnungen, die dem Ferdinandeum zu ganz überwiegenden Teilen im 19. Jahrhundert als hochherzige Legate unserer Mäzene sowie als Künstlernachlässe zugefallen sind.
So gering freilich unsere Kenntnis der Wege ist, auf denen diese Werke im Einzelnen in unser Haus eingelangt sind, so dürftig ist bedauerlicherweise auch die bisherige Zuschreibungsgeschichte unseres altmeisterlichen Zeichnungsbestandes. Wie den historischen Protokollen unseres Hauses zu entnehmen ist, stellte das Legat Johann von Wiesers von 1886, das allein 500 Zeichnungen sowie 10.000 Kupferstiche umfasste und durch das „die Schaffung einer ganz neuen Abtheilung des ‚Kupferstich-Cabinets‘ in Angriff genommen werden“ sollte, bereits aufgrund seines Umfanges das soeben um sein 2. Stockwerk erweiterte Ferdinandeum nicht nur vor räumliche Schwierigkeiten. Auch erlaubte der geringe Personalstand nicht einmal die katalogmäßige Inventarisierung: „Kaum aus der Enge durch den Neubau befreit, bringt das Legat mit nach Tausenden zählenden Gegenständen die größte Verlegenheit. Kein Dezenium mühseligen Sammelns hat dem Museum eine solche Bereicherung zugeführt wie dieses Legat von Handzeichnungen, Autographen, Kupferstichen.“ Die Einrichtung einer Grafischen Sammlung ließ indessen bis 2019 auf sich warten, und unsere Sammlungspräsentation nimmt nunmehr in einem ersten Anlauf einen Faden auf, der seit nahezu eineinhalb Jahrhunderten seiner Bearbeitung harrt.
Die nun von einem 30-köpfigen internationalen Projektteam getroffenen und in dieser Sammlungspräsentation sowie einem diese begleitenden Katalog der Öffentlichkeit übergebenen Zuschreibungen beruhen in den meisten Fällen auf einer kennerschaftlichen Beurteilung des Stiles, in dem Zeichnungen ausgeführt sind. Die kunsthistorische Stilkritik untersucht die Merkmale dessen, was und wie Werke symbolisieren, sowie diejenigen – persönlichen wie überpersönlichen – Eigentümlichkeiten, die für einen bestimmten Künstler, eine Epoche, eine Kunstlandschaft oder Schule charakteristisch sind. Hierin liegt durchaus nicht nur ein vergnüglicher Zeitvertreib unter Gelehrten, dessen Ergebnisse für den ästhetischen Genuss der Werke manchem eher belanglos erscheinen mögen. Ganz im Gegenteil aber prägt unser Wissen über die Herkunft eines Werkes unhintergehbar die Weise, in der das Werk zu betrachten ist, und liefert der Suche danach, in welcher nicht offenkundigen Weise das Werk von anderen Werken abweicht oder ihnen ähnlich ist, eine feste Grundlage (Nelson Goodman). Zuschreibungen tragen somit entscheidend zum Verständnis von Kunstwerken bei. Die hier nun erstmals vorgestellten Zuschreibungen rücken zudem die in den Tiroler Landesmuseen jahrhundertelang unerkannt bewahrten Werke endlich wieder in den weltweit zerstreuten Bestand verwandter Zeichnungen und der nach ihnen ausgeführten Gemälde ein.
Inden den Ausstellungsräumen finden sich auf den Täfelchen zu den einzelnen Zeichnungen zuoberst und in gewohnter Weise die Zuschreibungen notiert, unter denen die Werke traditionell seit Anbeginn in unserem Hause geführt wurden. Darunter haben wir die aus aller Welt, der Pandemie halber ganz überwiegend digital eingegangenen Pasepartoutnotizen aufgeführt. So können unsere Besucher*innen die verschiedenen, oft auch widerstreitenden Zuschreibungen der internationalen Fachkollegenschaft nachverfolgen und erhalten auf diese Weise einen exklusiven Einblick in die Praxis kennerschaftlicher Urteilsbildung. Der Besuch unserer Grafischen Kabinette erlaubt den Besucher*innen dadurch die unverstellte Teilnahme an den kreisenden Suchbewegungen um das nur unzureichend wortsprachlich mitteilbare Unbekannte, namentlich um die in der Sprache der Kunst zum Ausdruck gelangende Urheberschaft derjenigen Werke, die wir zu den faszinierendsten unseres Kunstschatzes zählen dürfen.