Selten gab es in der deutschen Geschichte so dramatische Zeiten wie in den Monaten nach dem Ersten Weltkrieg. Nach der Abdankung des Kaisers herrschte Waffenstillstand an den Kriegsfronten, und in Berlin rief der SPD-Politiker Philipp Scheidemann die Republik aus. Schon Tage zuvor brach in Kiel der Matrosenaufstand aus, in München wurde ebenfalls die Republik ausgerufen. Es war nun völlig offen, wohin der kopflose Staat treiben würde. Revolutionäre Parteien wie der Spartakusbund propagierten die Revolution, in manchen Städten entstanden Räterepubliken. Industrielle und Großgrundbesitzer sammelten Geld und riefen die Freikorps ins Leben: Söldnerarmeen, die bereit waren, eine Revolution zu bekämpfen und von denen nicht wenige wieder eine Monarchie anstrebten. Vor allem in Berlin, wo Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg den Spartakusbund anführten, kam es zu bewaffneten Kämpfen. Noch am Tag der Abdankung wurde eine Übergangsregierung gebildet, geführt von der Mehrheits-SPD – so genannt, weil sich von ihr die USPD abgespaltet hatte, die Unabhängige Sozialistische Partei Deutschlands. Trotz aller Unruhen und Aufstände, trotz großer materieller Not gelang es dieser Übergangsregierung unter Friedrich Ebert, die Weichen für die erste demokratische Reichstagswahl in Deutschland zu stellen. Jeder über 20 Jahre sollte wählen dürfen – auch Frauen! – und jede Stimme sollte, anders als im bisherigen Klassenwahlrecht, gleich viel zählen. Am 19. Januar 1919 gingen mehr als 85 Prozent aller Frauen und über 80 Prozent der Männer zur Wahl.
Die SPD gewann mit 38 Prozent der Stimmen die Wahl und bildete mit dem katholischen Zentrum und der liberalkonservativen Deutschen Demokratischen Partei, auf die jeweils knapp 20 Prozent der Stimmen entfielen, die so genannte Weimarer Koalition. Auf die radikalen Parteien, die nationalistische DNVP und die linksradikale USPD, entfielen zehn beziehungsweise knapp acht Prozent. Am 6. Februar 1919 tagte die verfassunggebende Nationalversammlung das erste Mal im Nationaltheater in Weimar. Man hatte sich gegen Berlin mit seinen Streiks, Straßenschlachten und unkontrollierbaren Menschenmengen entschieden, weil die Nationalversammlung dort leichter erpressbar gewesen wäre. Dieser Nationalversammlung gelang es, sich bis zum 31. Juli 1919 mit großer Mehrheit auf eine Verfassung zu einigen, die nach damaligen Maßstäben erstaunlich fortschrittlich und demokratisch war.
Unmittelbar nach Kriegsende übernahm die Übergangsregierung die Reichsdruckerei und andere Druckstätten der Heeresleitung und begann, für die Republik zu werben. Sie gründete den Werbedienst der deutschen sozialistischen Republik, der binnen zweier Monate rund 100 Drucke veröffentlichte – gut die Hälfte davon Plakate. Das Logo des Werbedienstes zeigte eine Fackel – Symbol für Licht und Erkenntnis und damit Zukunft.
Das vorrangige Bestreben der Übergangsregierung war es, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Revolution, Hungersnot und Chaos drohten, und so handelten die ersten Parolen vor allem von Ordnung und Arbeit. Die Plakate der Übergangsregierung und der Arbeiter- und Soldatenräte bestanden dabei oft aus langen, mahnenden Texten und waren nur in einer, höchstens zwei Farben gedruckt. Manche Gegner der Revolution dagegen, allen voran die rechtsradikale Antibolschewistische Liga, konnten sich großformatige, vielfarbige Lithografien leisten. Sie traten mit bedrohlichen, abschreckenden Motiven auf, entworfen von professionellen Zeichnern, und verteufelten den Gegner pauschal als Brandstifter und Mörder. Damit ebneten sie den Weg für das oft brutale Eingreifen der Freikorps.
Schon bald erschienen auch erste Hinweise auf die bevorstehende Wahl. Besonders Frauen wurden eigens angesprochen, von ihrem neuen Wahlrecht Gebrauch zu machen. Spätestens Mitte Dezember 1918, nur etwa fünf Wochen nach Kriegsende, hatten sich die Parteien formiert, Programme aufgestellt und mit dem Wahlkampf begonnen, der in vorderster Linie wiederum mit Plakaten ausgetragen wurde. Von den Tausenden von Plakaten, die damals binnen weniger Wochen erschienen, haben viele die Zeit nicht überlebt. Der weit überwiegende Teil dürfte nur mit Texten und fett gedruckten Parolen erschienen sein. Die in der Ausstellung getroffene Auswahl ist daher qualitätsvoller und bunter, als es ein statistischer Überblick wäre. Dass das MKG die Werke nun in dieser Form zeigen kann, ist erneut ein Beweis für seine hervorragende Sammlung, in diesem Fall konkret im Bereich Grafik.
Donnerstag, 7. März 2019, 19 Uhr sowie Donnerstag, 4. April 2019 Kuratorenführung mit Dr. Jürgen Döring im Museumseintritt inbegriffen
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr | Eintritt: 12 € / 8 €, Do ab 17 Uhr 8 €, bis 17 J. frei
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