Das Museum ist für gewöhnlich ein Ort, an dem materielle (Er-)Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt gesammelt, bewahrt, erforscht und ausgestellt werden. Doch die Werke des in Berlin lebenden Künstlers Tino Sehgal sind keine materiellen Objekte. Er konstruiert Situationen, generiert soziale Interaktionen, von denen nichts bleibt außer der individuellen Erfahrung der Besucher und der anekdotischen Erinnerung, denn Tino Sehgals Arbeiten hinterlassen keine materiellen Spuren, werden nicht aufgezeichnet und dokumentiert.Ort des Geschehens ist der große zentrale Lichthof des Albertinum. Ein Ort, der für alle frei zugänglich ist. Der Lichthof empfängt und verabschiedet jede Besucherin, jeden Besucher. Ein grandioser Raum, eine neobarocke Agora, geradezu prädestiniert als öffentlicher Versammlungsort. Tino Sehgal nutzt dieses Potential, öffnet alle Türen und erklärt den Lichthof für sechs Wochen zum öffentlichen Forum, auf dem Dresdner für Dresdner und für Besucher aus aller Welt agieren. Mitten in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden entsteht auf diese Weise ein lebendiger Ort des Austauschs, der allen offensteht. Tino Sehgal ermöglicht eine alternative Plattform für Debatten und Diskussionen, und schafft dadurch einen Gegenpol zu jener Versammlungskultur, die in der jüngsten Vergangenheit die öffentliche Wahrnehmung der Stadt Dresden dominiert.
Für Dresden interpretiert Tino Sehgal seine 2012 für die Londoner Tate Modern entwickelte Arbeit „These Associations“ in einer neuen Version. Vom 5. Juli bis 14. August besetzen bis zu 40 Akteure den Lichthof des Albertinum. Mit Bewegungschoreografien zwischen schwarmhafter Ansammlung und individueller Vereinzelung, Gesang und Gesprächen füllen sie den Raum. Sehgals Akteure sind ganz normale Dresdner – verschiedenen Alters und aus unterschiedlichen sozialen Milieus und Herkunft– die mit ihren persönlichen Geschichten und Erfahrungen einen direkten Bezug zu Dresden herstellen.
Im unvorhersehbaren Zusammenspiel zwischen Akteuren und Besuchern kommt es zu Momenten des ganz spontanen, persönlichen Austauschs zwischen Menschen. Was zählt, ist die direkte Begegnung auf Augenhöhe, deren Ausgang stets offen ist. Was bleibt, sind „diese Assoziationen“ – die möglichen Verbindungen, welche sich zwischen den Akteuren, den Besuchern, dem Ort und den Geschichten einstellen können. Tino Sehgal (*1976 in London) studierte Volkswirtschaft und Choreografie in Berlin und Essen. Seit über 15 Jahren realisiert er seine Arbeiten weltweit auf Kunstbiennalen und in namhaften Museen, darunter das Palais de Tokyo in Paris (2016), das Stedelijk Museum in Amsterdam (2015), die Tate Modern in London (2012), das Guggenheim Museum in New York (2010), das Kunsthaus Zürich (2009) oder das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main (2007).
2005 bespielte Tino Sehgal zusammen mit Thomas Scheibitz den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig und war 2012 auf der Documenta 13 vertreten. Für seinen zweiten Biennale-Beitrag wurde er 2013 als bester Künstler mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.