INNSBRUCK. In Gabriela Oberkoflers Arbeiten prallen Einsamkeit und Zerfall auf die vermeintlich identitätsstiftende Heimat. Bunt und fröhlich erscheinen die Zeichnungen nur auf den ersten Blick, die formale Schönheit täuscht aber nicht über die beunruhigenden Motive hinweg. Dadurch entwickelt sich ein Kontrast von großer poetischer Intensität. PD Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmuseen, betont: „Wir freuen uns sehr darüber, die Zeichnungen von Gabriela Oberkofler als erstes Museum Nordtirols zeigen zu dürfen“, und fährt fort, „Oberkofler beleuchtet in ihren Zeichnungen mitunter auch Stereotype, die über das Leben in den Alpen bestehen und regt an, über diese Klischees nachzudenken. Diese Herangehensweise ist für eine Präsentation im Volkskunstmuseum äußerst spannend.“
Das prekäre LebenIm Volkskunstmuseum hat sich Oberkofler vor allem mit dem Ausstellungsbereich „Das prekäre Leben“ auseinandergesetzt. Dort wird auf die existenziellen Hoffnungen und Sorgen der Menschen eingegangen. Die kostbaren Alltagsobjekte, die darin zu sehen sind, wurden einst in aufwändiger, detailreicher Arbeit hergestellt. BesucherInnen tauchen in diesem Ausstellungsbereich in das reale Leben im 18. und 19. Jahrhundert auf den Bauernhöfen in Tirol ein. Oberkofler hat in ihrer Serie „Votivfiguren“, die in ihrer Ausstellung zu sehen ist, versucht, sich in die damalige Welt zurückzudenken und Einblick in die Lebenswelt von vor 300 Jahren zu geben.
VotivgabenWie sich die mit diesem Leben verbundenen Gefahren und Belastungen auf die Menschen ausgewirkt haben, hat die Künstlerin gefesselt. Mithilfe von Votivgaben haben Menschen früher für die Rettung aus einer Notlage gebeten. Oft wurden dafür Amulette oder Votivbilder in Handarbeit gefertigt und als Opfer dargebracht oder als Glücksbringer bei sich getragen. Ein Beispiel dafür ist die „Votivkröte“: Der Uterus wurde als im Körper herumwanderndes Tier betrachtet, das durch Beißen und Zwicken Unterleibsschmerzen verursachte. Als Votivgabe wurde deshalb oft eine Kröte angefertigt, um die Erlösung von den Schmerzen zu erbitten. Amulette, die in Zusammenhang mit Fruchtbarkeit und Geburt als Votivgaben eingesetzt wurden, stehen im Zentrum von Oberkoflers Interesse und finden sich in zahlreichen ihrer Zeichnungen wieder. Oberkofler kennt viele Objekte aus den Sammlungen des Volkskunstmuseums noch aus erster Hand. Sie entstammt einer aktiven Bergbauernfamilie aus Jenesien, oberhalb von Bozen.
Das weiße BlattIn ihrer Serie „Votivfiguren“, die Oberkofler eigens für die Ausstellung entwickelt hat, platziert sie ihre Motive klein und vereinzelt auf dem weißen Blatt. Akribisch reiht sie winzige, leuchtende Punkte und Striche aneinander, sodass ein pulsierendes Gesamtbild entsteht. Der weiße Rand um das Objekt spielt für die Künstlerin eine zentrale Rolle. „Oberkofler versucht, in ihren Zeichnungen ganz bewusst einzelne Objekte in den Mittelpunkt des Blattes zu stellen. Dadurch wird die Aufmerksamkeit verstärkt auf das Motiv gelenkt“, betont Dr. Helena Pereña, Kuratorin der Ausstellung.
ZeichentechnikRund eine Woche arbeitet Oberkofler an einer Zeichnung. Sie steckt viel Sorgfalt und Detailverliebtheit in ihre Werke, die Wertschätzung der Künstlerin gegenüber ihren Motiven aussagen. Durch das Aneinanderreihen von einzelnen Punkten, Linien, Strichen und Farben erreicht sie ein rhythmisches, dichtes Gesamtbild. Am Anfang aber steht bei Oberkofler stets eine Bleistiftzeichnung, ein Gerüst, dessen Leerstellen ausgefüllt werden und das zum Schluss wegfällt. Sie verwendet nur reine Farben und mischt diese nicht untereinander. Es werden keine Punkte geschichtet, jeder Punkt steht für sich. Dieser ganz klar zeichnerische Ansatz ist zugleich eine wichtige Aussage: Ein Punkt, der gesetzt ist, ist gesetzt – es ist kein Vertuschen, kein Verwischen möglich. Neue Sichtweisen Oberkoflers Zeichnungen weisen auf Vergangenes hin, werden allerdings durch ihre Bildsprache, die Wahl der Farben etc. in die heutige Zeit überführt. Die Objekte werden dem gewohnten Kontext entzogen und bieten neue Sichtweisen an. Die Künstlerin verändert auch Farbe und Form der Gegenstände dynamisch. Kleidungsstücke für Kinder und Alltagsgegenstände verweisen auf ihre toten Besitzer, Liebesgaben wie eine Tabakdose erinnern an erloschene Leidenschaft. In einer Installation mit Trachtenschuhen aus dem Depot des Tiroler Volkskunstmuseum stehen durcheinander gebrachte Schuhpaare mit den Fersen nach außen auf einem runden Sockel. Durch die ungewöhnliche Präsentation wird ihnen wieder Leben eingehaucht. Ihre Träger werden damit in der Ausstellung wieder lebendig.
GegenüberstellungenDie größtenteils eigens für die Ausstellung entstandenen Zeichnungen werden in Dialog mit weiteren Objekten aus dem Volkskunstmuseum und aus den Naturwissenschaftlichen Sammlungen der Tiroler Landesmuseen gezeigt. Oberkofler hat eine Reihe von Tieren ausgewählt, die Fragen über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier aufwerfen. Die Raubtiere darunter sind für sie Ausdruck von Macht, Kraft und brachialer Gewalt. Darüber hinaus hat sie eine Gruppe albinotischer Tiere ausgesucht, denen aufgrund eines Gendefekts das Pigment Melanin, das bei Wirbeltieren die Farbe von Haut, Fell und Federn bestimmt, fehlt. Neben der Lichtempfindlichkeit, die bei Albinos zu Hautkrebs und Blindheit führen kann, werden sie von Raubtieren leicht entdeckt, da ihre natürliche Tarnung nicht funktioniert. Albinos sind daher zu einem frühen Tod verurteilt. Tiere kommen in den Zeichnungen der Künstlerin immer wieder als Motiv vor und spielen eine zentrale Bedeutung für sie. Wild- und Raubtiere, Vögel, Hunde oder Pferde stellt sie einzeln oder als Gruppe immer wieder verletzt, blutend oder tot dar. Oberkofler regt eine allgegenwärtige Reflexion über Leben und Tod an. Teil der Ausstellung sind auch Interventionen in der Schausammlung des Museums.
Über die KünstlerinGabriela Oberkofler wurde in Jenesien (Südtirol) geboren und hat an der University of Visual Arts, Corner Brook, Neufundland, an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen und an der Staatlichen Akademie für Bildende Kunst in Stuttgart studiert. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Stuttgart und wurde mit zahlreichen Förderungen und Preisen ausgezeichnet, darunter der renommierte Paul-Flora-Preis 2014. Die Ausstellung im Tiroler Volkskunstmuseum ist ihre erste museale Präsentation in Nordtirol. Die Ausstellung wurde durch die Klocker Stiftung unterstützt.
BEGLEITPUBLIKATIONZur Ausstellung erscheint die Begleitpublikation „StudioHefte 30. Gabriela Oberkofler. Prekäre Leben“, ISBN 978-3-900083-67-0, 160 Seiten, Preis € 10 Die Publikation ist in den Museumshops der Tiroler Landesmuseen und online unter http://shop.tiroler-landesmuseen.at erhältlich.
PREIS Eintritt freiVon Mittwoch bis Montag von 9 – 17 Uhr geöffnet.
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