Ein Wunderwerk aus Delfter Fayence – Die Blütenpyramide von Adrianus Kocx im Cleveland Museum of ArtEs gibt Objekte, die faszinieren durch ihre Form, lange bevor ihr Zweck verstanden wird. Eine Blütenpyramide aus dem 17. Jahrhundert gehört zweifellos zu diesen Wunderdingen. Das vertraute Blau-Weiß der Delfter Fayence vermittelt zunächst Vertrautheit, doch die Form – irgendwo zwischen Pagode und Obelisk – entfaltet einen fast rätselhaften Reiz. Ihre vielen kleinen Öffnungen deuten auf ihren praktischen Zweck hin: Sie dient der Aufnahme von Blumen. Doch durch ihre ornamentalen Elemente wird sie zum Kunstwerk – eine fragile Balance zwischen Funktionalität und Fantasie. Genau diese kühne Ästhetik macht die Blütenpyramide zu einer der ikonischsten Formen der Delfter Keramik.
Als Ada de Wit, Kuratorin für dekorative Kunst am Cleveland Museum of Art, erfuhr, dass ein solches Exemplar aus der „Greek A“-Manufaktur (ca. 1690) auf der TEFAF Maastricht 2024 präsentiert würde, war für sie klar: Sie musste vorbereitet sein. „We are an encyclopedic museum. We have a very strong collection of decorative arts, but we didn’t have a major example of Delftware. Hence, I was actively looking for a piece,“ erzählt De Wit. Der Erwerb durch Museen ist oft ein langwieriger Prozess, doch nachdem sie erste Bilder erhalten hatte, nahm sie umgehend Kontakt zum Aussteller, Aronson Antiquairs, auf. „When I finally saw it at the fair, it confirmed that, yes, it’s as good as I expected it to be. We can go for it.“
Die Produktion dieser prächtigen Vase geht zurück auf die Ära von Königin Mary II., die als bedeutende Förderin von Delfter Fayence gilt. Mary war Kundin der „Greek A“-Manufaktur – damals eine von 34 Werkstätten in Delft und die wohl renommierteste. Robert Aronson von Aronson Antiquairs erläutert: „The factory became aware of the high-level demand in the market“, nachdem Mary ihre Bestellungen aufgab. Die Produktion für den Export, vor allem für ihre Höflinge, wurde zur Strategie. Die jetzt im Cleveland Museum befindliche Pyramide hat eine hexagonale Basis, besteht aus stapelbaren Elementen und vereint Architekturdetails wie Bögen, Säulen und eingelassene Paneele mit verspielten Motiven: Löwenfüße, Pfauen und perlenbesetzte, froschähnliche Wesen, vielleicht ein Hinweis auf die Sammlerinnen dieser Epoche. Aronson erklärt weiter: „We know that Adrianus Kocx [the owner of Greek A] himself was in contact with Queen Mary. Officially, he was not allowed to sell to England, because in the late 17th century England still had an embargo on Delftware.“ Mary jedoch widersetzte sich dem Embargo – ein subversiver Akt zugunsten der Schönheit.
Die Geschichte dieser Vase reicht über England hinaus und spiegelt den kulturellen Austausch jener Zeit. Die niederländische Keramik entstand aus dem Wunsch, chinesisches Porzellan zu imitieren. „They did not succeed in developing true porcelain; Meissen was the first European factory that was able to produce hard-paste porcelain. That’s another story,“ ergänzt De Wit. Und doch lässt sich diese Geschichte heute durch Objekte erzählen. „Our visitors will see the Asian galleries, and they’ll visit the Dutch gallery where they’ll discover this piece and learn about exchanges between different countries in the 17th century.“
Nach dem Niedergang des Stils im 18. Jahrhundert setzte sich die Rezeption der Delfter Blütenpyramiden fort – auf andere Weise. Robert Aronson erinnert sich: „I know of past pieces that I owned that, especially in the early 18th century, were gifted to people working at the palaces.“ Im 20. Jahrhundert tauchte die jetzt ausgestellte Vase erneut auf – im Besitz des legendären Fotografen Cecil Beaton, der sie 25 Jahre lang in seinem Zuhause präsentierte. Auf Fotografien ist sie gut sichtbar auf einem Schrank platziert – mit Stolz.
Heute wird die Blütenpyramide im Cleveland Museum of Art gezeigt – nicht leer, sondern lebendig. De Wit und Beth Edelstein, leitende Konservatorin des Museums, ließen von der Künstlerin Quynh Nguyen Papierblumen anfertigen: Tulpen, Vergissmeinnicht und mehr. Edelstein achtete auf konservatorische Sicherheit: „We asked the artist to share the specific brands of paper, paint, and adhesive she uses so that we could investigate the stability of these materials. We also looked at the lightfastness of the different colors that she chooses, trying to make sure that the investment has a long life as well.“
Wenn niederländische Blumenstillleben des Barock die Vergänglichkeit betonen, dann erzählt diese Vase vielleicht das Gegenteil: Dass Objekte viele Leben haben können – wenn man sie nur sorgsam begleitet.